Ein schlechter Tag für Kritiker
Richtig guter Fußball beim Remis zwischen Turbine Potsdam und dem VfL Wolfsburg
Wenn Frauen Fußball spielen, kann es schnell grundsätzlich werden. Erst recht, wenn Bernd Schröder darüber spricht. »Die kritische Masse ist im Frauenfußball viel größer als bei den Männern«, wurde der Trainer von Turbine Potsdam am Sonnabend fast philosophisch. Kurz zuvor hatten seine Spielerinnen im Spitzenspiel der Bundesliga gegen den VfL Wolfsburg mit einem 1:1 (1:0) die Tabellenführung verteidigt. Das Resultat war dem 71-Jährigen fast egal. Viel wichtiger war ihm, dass es »ein richtig gutes Spiel war, mit einer guten Kulisse«. Ein schlechter Tag für Kritiker. Stattdessen »Werbung für den Frauenfußball«, pflichtete Wolfsburgs Trainer Ralf Kellermann Schröder bei.
3060 Zuschauer hatten im Karl-Liebknecht-Stadion die Partie zwischen dem Spitzenreiter aus Potsdam und den als zweitplatzierten angereisten Wolfsburgerinnen verfolgt. Ein Spiel mit zwei verschiedenen Halbzeiten, aber sehr gutem Fußball über 90 Minuten. »Wir haben eine sensationelle erste Hälfte gespielt«, befand Schröder. Die Potsdamerinnen ließen dem aktuellen Champions-League-Sieger keine Luft zum Atmen. Sie gewannen fast jeden Zweikampf und unterbanden mit exzellentem Pressing den Spielaufbau ihrer Gegnerinnen komplett. Nur eine wirkliche Chance hatte der VfL in der ersten Halbzeit: Der Ball streifte in der 44. Minute nach einem Freistoß von Lena Goeßling die Latte des Potsdamer Tores.
Turbine hingegen bekämpfte nicht nur erfolgreich den Gegner, sondern erspielte sich auch einige Chancen. Vor allem die zentrale Stürmerin Genoveva Anonma versuchte sich immer wieder mit Schüssen aus jeder Position. Letztlich war es ein Freistoß von Tabea Kemme, der die Potsdamerinnen verdient in Führung brachte. Den von der 21-Jährigen aus 25 Metern geschlagenen Ball, verlängerte Pauline Bremer in der 38. Minute zum 1:0. Wolfsburgs Torfrau Almuth Schult agierte nicht nur bei diesem Gegentreffer etwas unglücklich. VfL-Trainer Kellermann bilanzierte Halbzeit eins so: »Wir hätten zur Pause schon so hoch zurückliegen können, dass wir keine Chance mehr gehabt hätten, ins Spiel zurückzukommen.«
In der Kabine hatte Kellermann jedoch den richtigen Ton und die richtigen Worte gewählt. Sachlich und leise habe er erklärt, »einfach fünf Meter weiter vorn zu verteidigen«. Bloß nicht wieder so tief in die eigene Hälfte drängen lassen. Gesagt, getan. Nach dem Wiederanpfiff attackierten plötzlich die Wolfsburgerinnen ihre Gegenspielerinnen früh. Sie bekamen das Spiel unter Kontrolle und wurden in der Offensive gefährlich. Folgerichtig und verdient erzielte Martina Müller nach 58 Minuten den Ausgleich.
Den Potsdamerinnen fehlte es nach der intensiven ersten Halbzeit etwas an Kraft. Der VfL dominierte und hätte durch Alexandra Popp oder Müller in Führung gehen können. Auch Turbine kam noch zu der ein oder anderen Chance, letztlich blieb es aber bei der Punkteteilung. Dennoch sagte Kellermann: »Wir sind alle Sieger, Gewinner ist der Frauenfußball.« Der VfL-Trainer schlug damit in dieselbe Kerbe wie Schröder. Natürlich sind beide Vereine sportliche Konkurrenten, aber sie eint ein gemeinsames Ziel: Der Kampf um mehr Wahrnehmung.
Dabei geht es eben nicht darum, diejenigen zu überzeugen, die sowieso schon im Stadion sind. Es geht darum, neue Fans zu gewinnen. Insofern war Schröder zufrieden. Denn das Spiel wurde live auf Eurosport übertragen. Und die Kameras fingen nicht nur guten Fußball ein, sondern zeigten auch halbwegs volle Tribünen. Noch am Mittwochabend hatte sich Schröder sehr geärgert. Auch das Rückspiel im Sechzehntelfinale Champions League gegen MTK Hungaria hatte Eurosport übertragen. Aber: Zu sehen war beim 6:0 von Turbine ein großer Leistungsunterschied zwischen beiden Teams und eine fast leere Tribüne. »Wer soll sich dafür begeistern?«, fragte Schröder.
Ebenso schimpfte der Turbine-Trainer über die Ansetzung am kommenden Spieltag. Eurosport überträgt das Spiel des 1. FFC Frankfurt gegen Sindelfingen. Ein ungleiches Duell: Die Frankfurterinnen, nach dem 3:2-Sieg beim USV Jena Tabellenzweiter, gegen das bisher sieglose Schlusslicht. In sechs Spielen hat Sindelfingen gerade mal ein Tor erzielt. »Wer soll sich dafür begeistern?«, fragte Schröder erneut. »Das macht alles kaputt, was wir uns bisher aufgebaut haben.« Und auch mit dem Spiel am Sonnabend war er letztlich nicht ganz zufrieden. Eigentlich war ja alles gut: das Spiel, die Kulisse. Aber der Preis für die Liveübertragung war hoch. Auch bei Eurosport hat der Frauenfußball Konkurrenz: Deshalb musste das Spiel um 11.45 Uhr angepfiffen werden. »Das kostet uns 1000 Zuschauer im Stadion«, sagte Schröder.
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