Genuss und Geschwindigkeit
In London schätzt man den heutigen Gegner Borussia Dortmund, die deutschen Arsenal-Spieler werden geliebt
Hampstead gilt als eines der letzten Überbleibsel des dörflichen Londons mit einer künstlerischen, exklusiven Atmosphäre. Ein Spaziergang durch den Hampstead Heath, einen weitläufiger Landschaftspark mit ausgewaschenen Sandwegen und uralten Eichen, ist längst kein Geheimtipp mehr. Und rund um den Whitestone Pond - die 150 Meter hohe Erhebung einer ewig geschäftigen Metropole - reihen sich die Residenzen gut betuchter Bürger. Liberale, Intellektuelle und Politiker haben in der grünen Lunge eine Heimat gefunden. Und Fußballer. Etwa hat Per Mertesacker mit Freundin Ulrike Stange und Söhnchen Paul im citynahen Londoner Norden sein Zuhause. Und hier haben Mesut Özil und die Sängerin Mandy Capristo kürzlich ein Haus bezogen. »Wir haben intensiv gesucht, das hat sich gelohnt«, sagt der neue Star des FC Arsenal, »die Menschen respektieren unsere Privatsphäre.«
Wobei es Kollege Mertesacker schon häufig bedauert hat, »dass wir Kontakt zu den Fans eigentlich nur an Spieltagen haben.« Immerhin das hat man mitbekommen: »Die Leute sind gerade sehr happy.« Rechtzeitig zum heutigen Champions-League-Heimspiel gegen Borussia Dortmund überzieht ein allgemeines Wohlfühlklima den Klub, was viel mit dem deutschen Einfluss zu tun hat. Mertesacker ist dabei nicht nur aufgrund seiner Größe der Anführer der deutschen Fraktion. Teamchef Arséne Wenger schätzt seinen Abwehrchef ungemein und überträgt dem 29-Jährigen nicht umsonst zeitweise die Kapitänsbinde. »Er ist sehr intelligent, genießt großen Respekt von allen, und hat sich technisch und taktisch gut entwickelt«, lobt Wenger, während Mertesacker gerade im Gegenzug einen »großen Respekt uns Deutschen gegenüber« verspürt. »Wir stehen nach Meinung der Engländer für Qualität. Wir sind immer da, wenn man uns braucht.«
Gruppe A
Leverkusen - Donezk
Manchester United - San Sebastián
Gruppe B
Real Madrid - Juventus Turin
Galatasaray Istanbul - Kopenhagen
Gruppe C
Anderlecht - Paris St. Germain
Benfica Lissabon - Olympiakos Piräus
Gruppe D
München - Plzen alle Mi. 20.45
Moskau - Manchester City Mi. 18.00
Gruppe E
Steaua Bukarest - FC Basel
Schalke 04 - FC Chelsea
Gruppe F
Arsenal London - Dortmund
Marseille - SSC Neapel
Gruppe G
FC Porto - St. Petersburg
Austria Wien - Atlético Madrid
Gruppe H
Celtic Glasgow - Amsterdam
AC Mailand - Barcelona alle Di. 20.45
Mit seinem tiefsinnigen Charakter passt der bodenständige Niedersachse bestens in die britische Lebensart. Und seit sein ehemaliger Bremer Weggefährte Özil hinzugekommen ist, hat Arsenal sogleich eine andere Qualitätsstufe erklommen. Mertesacker spricht von einem emotionalen Schub, der von der Verpflichtung des 50 Millionen Euro teuren Mittelfeldzauberers ausgegangen sei. »Von 100 Leuten, die Mesut auf der Straße erkennen, erkennen mich vielleicht 20 - nur mal so zum Vergleich.« Der 25-jährige Spielmacher selbst hat seinem neuen Arbeitgeber und der neuen Umgebung mehrere Liebeserklärungen gemacht, was ja auch nicht schaden kann.
»Mesut ist ein Traum, er ist für den Fußball geboren«, schwärmt Wenger, »ein Weltfußballer.« Tatsächlich paaren die »Gunners« mit dem filigranen Gestalter wieder Geschwindigkeit und Genuss wie zu besten Zeiten eines Dennis Bergkamp und Thierry Henry, weil es heutzutage solche Passgeber braucht, um das verdichtete Mittelfeld zu durchdringen. Özil hat just beim 4:1 gegen Norwich City seine ersten zwei Ligatreffer erzielt. »Özil gibt Arsenal den Glauben zurück, auf dem Weg zu etwas Gutem zu sein«, stellte der »Guardian« fest, der sorgsam zusammengefaltet in den Cafés in Hampstead ausliegt.
Das Spiel gegen Dortmund, dem in London sehr geschätzten Verlierer aus dem Königsklassenfinale, glaubt Mertesacker, »wird unser erster richtiger Gradmesser.« Der Elsässer Wenger geht davon aus, dass der »dritte und vierte Spieltag der Schlüssel fürs Achtelfinale« sind. Tatenlos wird mit Lukas Podolski der dritte deutsche Nationalspieler zusehen, der von Wenger jüngst einen Rüffel empfing. »Bei ihm hat man immer das Gefühl, dass er zu 80, 90 Prozent da ist, aber man will vom ihm eben die 100 Prozent - da ist noch mehr drin.«
Von Podolskis Verletzung und dem Fehlen von Theo Walcott und Alex Oxlade-Chamberlain profitiert wiederum ein deutscher U 19-Nationalspieler: Serge Gnabry, »German Wunderkind« getauft. »Er hat Talent und Persönlichkeit«, urteilt Wenger, »leider ist auch er kein Engländer.« Der in Böblingen aufgewachsene 18-Jährige - Sohn einer Schwäbin und des ivorischen Ex-Nationalspielers Jean-Hermann Gnabry - ist der vielleicht verblüffendste Beitrag zu »Gersenal«, wie der Tabellenführer der Premier League dieser Tage oft genannt wird.
Der beidfüßige Irrwisch gibt den Anführer einer nachrückenden Arsenal-Garde, zu der die deutschen Talente Thomas Eisfeld und Gedion Zelalem sowie Leander Siemann aus der vereinseigenen Akademie gehören. Damit ist aber des deutschen Brauchtums immer noch nicht genug. »Wir haben sogar einen deutschen Koch«, erzählt Mertesacker, »er hat früher in Frankreich gearbeitet und lebt in London mit einer englischen Frau. Leider hat er sich jetzt den Arm gebrochen und fällt sechs Wochen aus.«
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