Der Erdboden als radioaktiver Sondermüll

Greenpeace-Experte Heinz Smital über die derzeitige Lage in der Region Fukushima und die Verharmlosung durch UN-Organisationen

  • Lesedauer: 4 Min.
Die Situation in der Gegend um das im März 2011 havarierte Atomkraftwerk Fukushima ist weit besorgniserregender, als dies von UN-Organisationen dargestellt wird. Das zumindest sagt der Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital, der kürzlich die Region bereist hat. Mit dem Kernphysiker sprach nd-Redakteurin Haidy Damm.

nd: Sie waren kürzlich zum wiederholten Mal mit einem etwa 20-köpfigen internationalen Team in der Region Fukushima. Mit welchen Ergebnissen sind Sie zurückgekommen?
Smital: Wir haben besonders in der Stadt Tamura Messungen durchgeführt. Diese Stadt liegt teilweise in der 20-Kilometer-Zone um das Atomkraftwerk, teilweise in der 30-Kilometer-Zone. Ein Stadtteil Tamuras ist das erste Gebiet, für das die japanische Regierung eine Rückkehr evakuierter Bürger zulässt. Insgesamt sieht man, dass sehr große Anstrengungen unternommen werden, Bereiche wie Parks und Spielplätze zu dekontaminieren. Dort wird um die Büsche und Bäume jeder Quadratzentimeter gereinigt und neu aufgeschüttet. Aber die Wiesen und Wälder drum herum sind nach wie vor kontaminiert. Da kann ich es einer Familie nicht verübeln, wenn sie dorthin nicht zurück will, wo ihre Kinder zwar im Park spielen, aber nicht am Fluss sein können.

Wie werden eigentlich die Betroffenen von der japanischen Regierung unterstützt?
In der 20-Kilometer-Zone werden Entschädigungen gezahlt. Der Umkreis 30 Kilometer bedeutet, es ist eine Zone freiwilliger Evakuierung. Hierhin wollen viele Familien nicht zurück, weil ihre Existenz zerstört ist und sie keine Entschädigung bekommen. Hier geht es nur darum, die gigantischen Kosten der Atomkatastrophe zu minimieren und damit kleiner zu rechnen, als sie tatsächlich sind.

Was passiert mit dem abgetragenen Boden?
Der kommt in schwarze Säcke, eindeutig klassifiziert als Atommüll. Diese Säcke sieht man überall, sie stehen kilometerweit entlang der Straße, teilweise übereinander gestapelt, teilweise auf Schulhöfen. Dabei sind diese Mengen nur das Resultat von relativ kleinen dekontaminierten Flächen, die ganze Landschaft kann nicht gereinigt werden. Eine Lösung gibt es für diesen Müll noch nicht.

Nun war auch ein Team der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) wieder vor Ort. Greenpeace hat dieser wiederholt Verharmlosung vorgeworfen. Wie bewerten Sie den Besuch?
Zu Beginn der Atomkatastrophe waren es Greenpeace-Teams, die vor Ort waren und anschließend die hohen Kontaminationen publik gemacht haben. Die IAEO war erst später in der Region, hat widersprüchliche Ergebnisse präsentiert und generell verharmlost. Nun ist dies eine Organisation, deren politisches Ziel es ist, Atomkraft zu fördern. Deshalb ist jede Nachricht, die gegen Atomkraft spricht, ein Problem für sie. Auch bei diesem Besuch ging es also eher um die Botschaft, das Problem sei lösbar, als um substanzielle Hilfe. Es geht mehr um ein Kommunikationskonzept, das dort in diesen Tagen erarbeitet wurde und besagt, vieles sei schon erreicht.

Verharmlosung wirft Greenpeace nicht nur der IAEO vor. Auch Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über die gesundheitlichen Folgen der Atomkatastrophe wurden von Ihnen scharf kritisiert.
Die Katastrophe von Fukushima wurde als Atomunfall der Stufe 7 klassifiziert. Tatsächlich entsprach die Menge der freigesetzten Radioaktivität etwa dem zehnfachen Wert dessen, was ausreicht, um auf dieser Stufe eingeordnet zu werden und entsprechend gesundheitliche Folgen zu haben. Das ist unbestritten, auch bei der IEAO. Aber diese ist innerhalb der UNO eine sehr mächtige Organisation und die WHO - ebenfalls eine UN-Organisation - stellte fest, dass es trotz der Klassifizierung nur geringe gesundheitliche Folgen gebe. Das ist schon sehr überraschend und dementsprechend zu kritisieren. Zudem sind die tatsächlichen gesundheitlichen Folgen noch gar nicht absehbar, weil diese erst bis zu zehn Jahre später auftreten.

Kurz nach der Katastrophe war in den westlichen Medien oft von Protesten in Japan gegen Atomkraft zu lesen. Was macht die Anti-AKW-Bewegung jetzt?
In Tokio und anderen Städten finden regelmäßig bunte, energiegeladene Proteste statt. Auch viele Prominente sprechen sich dagegen aus. Momentan läuft kein einziger der rund 50 Atommeiler, das ist sicher auch eine Folge der Haltung der Bevölkerung, die Atomkraft ablehnt. Gleichzeitig ist die jetzige Regierung eindeutig dafür und sehr eng mit der Atomindustrie verfilzt. Hier wird es sicher noch sehr intensive Auseinandersetzungen darüber geben, welche Richtung Japan einschlagen soll.

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