Das Fernsehen wählt den Trainer

Miguel Herrera soll Mexikos Fußballer doch noch nach Brasilien führen

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 4 Min.
In Mexiko versucht der vierte Coach in 42 Tagen, die Fußball-Nationalmannschaft zur WM 2014 zu bringen. Ständig sägt das Fernsehen am Trainerstuhl.

Vier Trainer in 42 Tagen: In der Qualifikation zur Fußball-WM im kommenden Sommer war der Job als mexikanischer Nationalcoach nicht gerade langfristig angelegt. Am Dienstag trat nun Miguel Herrera offiziell sein Amt an. In den Relegationsspielen gegen Ozeanien-Vertreter Neuseeland (13. und 20. November) soll der 55-Jährige Mexiko doch noch zur Endrunde nach Brasilien führen. Das grotesk anmutende Trainerkarussell verdeutlicht das Dilemma im mexikanischen Fußballverband FMF: den übergroßen Einfluss von Fernsehanstalten und Klubbossen.

Herreras Vorgänger Víctor Manuel Vucetich war sichtlich verärgert, als er von seiner Beurlaubung nach gerade einmal zwei Partien erfuhr. »Hätte man mir gesagt, dass es nur für zwei Spiele ist, hätte ich mich niemals darauf eingelassen«, sagte er. Aber Vucetichs Kredit war nach den beiden Zitterauftritten gegen Panama und in Costa Rica bereits wieder aufgebraucht.

Einzig zwei Tore der bereits qualifizierten USA in der Nachspielzeit gegen Panama verhalfen Mexiko überhaupt auf den Relegationsplatz, was den mexikanischen Sportreporter Christian Martinoli von TV Azteca zu dem denkwürdigen Kommentar hinriss: »Tor der Vereinigten Staaten! We love you, we love you, forever and ever. God bless America! Die USA ermöglichen uns den Einzug ins Playoff-Spiel. Die Amerikaner sind auch im Fußball besser als wir, sie erlauben sich den Luxus, mit Ersatzleuten zu spielen und uns am Leben zu lassen. Ihr nicht, ihr Grüngekleideten nicht! Ihr mit Eurer Arroganz seid es nicht, ihr mit Eurer Misere seid es nicht, ihr mit Euren schiefen Böllerschüssen seid es nicht! Dass ihr es Euer ganzes Leben lang nie mehr vergesst: Ihr tut nichts für euer Trikot!«

Der große Nachbar im Norden scheint Mexiko nun selbst im Fußball abzuhängen. Das belastet die nationale Psyche. Vucetich forderte denn auch ein » tiefer angelegtes Konzept« wie in den USA, wo jahrelange Aufbauarbeit nun Früchte trägt. Die von Jürgen Klinsmann trainierte Auswahl hatte im Sommer bereits den Gold Cup, die Nord- und Mittelamerikameisterschaft, gewonnen und sich jetzt souverän in der WM-Qualifikation durchgesetzt.

In Mexiko aber scheitern langfristige Konzepte zumeist an Selbstüberschätzung und kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen. »Ich bin König Midas, nicht Gott«, sagte Vucetich noch - in Anspielung auf seinen Spitznamen. Den bekam er wegen seines goldenen Händchens in wichtigen Finals verliehen. Aber ihm hörte schon niemand mehr zu; die Versammlung der Klubpräsidenten sägte ihn ab und installierte Herrera.

Nach dem glücklosen José Manuel de la Torre, Ein-Spiel-Interimstrainer Luis Fernando Tena, der nach der Niederlage in den USA sofort wieder vor die Tür gesetzt wurde, und Vucetich soll es nun also Herrera richten. Der hatte zuletzt den darniederliegenden Club América, den FC Bayern München Mexikos, wieder aufgepäppelt und zur Meisterschaft geführt. Auch in der aktuellen Spielrunde steht der Verein wieder an der Tabellenspitze.

América wiederum gehört Televisa, dem weltweit größten spanischsprachigen Fernsehsender. »Die Televisa-Gruppe ernennt den Präsidenten des Verbandes, den Generaldirektor oder Präsidenten der Liga ... Televisa hat die absolute Kontrolle im mexikanischen Fußball«, beschrieb der langjährige Sportkommentator, José Ramón Fernández, bereits vor einigen Monaten gegenüber der spanischen Zeitung »El País« den Einfluss der Sendergruppe. Auch die Trainerwahl gilt als beeinflusst von Televisa. Mexikos Presse ist sich einig: Televisa-Besitzer Emilio Azcárraga Jean, der noch zwei weitere Erstligaklubs besitzt, hat sich für »seinen« Trainer Herrera stark gemacht. Aufgrund ökonomischer Interessen eng mit Televisa verquickt, haben die anderen Vereinsoberen die Entscheidung pro Herrera mitgetragen.

Denn ein Verpassen der WM-Endrunde würde Millionenverluste für alle Beteiligten bedeuten. Experten rechnen vor, dass die mexikanische Wirtschaft umgerechnet rund 500 Millionen Euro verlöre. Die teuer erkauften Übertragungsrechte würden entwertet - und die besitzt, na klar, Televisa. Der Sender bliebe wegen fehlender Werbeeinnahmen auf hohen Kosten sitzen. Aber auch die mexikanische Liga wäre betroffen - durch den Rückzug von Sponsoren oder geringere Ticketverkäufe.

Alle sitzen also in einem Boot. Und wenn das abzusaufen droht, kann man schon mal nervös werden. Wie sehr der Verband nun »americanisiert« wird, zeigt ein Blick auf die erste Nominierungsliste von Herrera für das Freundschaftsspiel kommende Woche gegen Finnland (30.11.), die er am Sonntag vorstellte: darauf finden sich nicht weniger als zehn Spieler seines Vereins. Dieser hat Herrera, der keinen Vertrag mit dem Verband unterschrieben hat, im Übrigen bislang nur für die zwei Relegationsspiele freigestellt. So ist es durchaus möglich, dass Mexiko sich innerhalb von knapp drei Monaten einen fünften Trainer für die Nationalmannschaft sucht. Viele Bewerber wird es wohl nicht geben.

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