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Harter Schlag für Spaniens Politik der Vergeltung

Gericht musste aufgrund eines Straßburger Urteils die Freilassung einer inhaftierten ETA-Aktivistin anordnen

  • Ralf Streck, San Sebastian
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat Spanien verurteilt, viele Gefangene freizulassen, die illegal inhaftiert sind.

Angehörige der Baskin Inés del Río Prada begaben sich am Dienstag auf den 700 Kilometer langen Weg zum Gefängnis von Teixeiro. Der Nationale Gerichtshof in Madrid hatte am Morgen in einer Sondersitzung die Freilassung der 55-jährigen ehemaligen Aktivistin der baskischen Untergrundorganisation ETA verfügt. Das Gericht hatte keine Wahl, nachdem Spanien am Montag vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eine Niederlage erlitten hatte.

Inés del Rio war wegen der Verwicklung in mehrere ETA-Anschläge zu mehr als 3000 Jahren Haft verurteilt worden. Die höchstzulässige Haftzeit zum Zeitpunkt der Verurteilung betrug 30 Jahre. Aufgrund üblicher Strafnachlässe hätte del Rio 2008 freigelassen werden müssen. Doch inzwischen hatte Spaniens Oberster Gerichtshof die nach einem anderen ETA-Mitglied benannte Parot-Doktrin erlassen: Durch Veränderung der Strafnachlässe wurde die Haftdauer der Gefangenen bis 2017 verlängert. Diese nachträgliche Strafverschärfung verstößt nach Auffassung der Straßburger Richter gegen den Grundsatz »keine Strafe ohne Gesetz« und damit gegen die Menschenrechtskonvention. Der EGMR stellte in zweiter und letzter Instanz fest, dass Inés del Rio seit fünf Jahren »irregulär« inhaftiert ist. Spanien müsse derartige Verstöße »dringlich« beenden, sagte Gerichtspräsident Dean Spielmann. Der Gefangenen wurde eine Entschädigung von rund 30 000 Euro zugesprochen.

Für Margerita Robles, Sprecherin des spanischen Justizkontrollrats CGPJ, ist klar, dass damit ein »Präzedenzfall« geschaffen wurde. Da die Parot-Doktrin auf etliche Gefangene - nicht nur ETA-Mitglieder - angewandt wurde, müsste Spanien auch andere Häftlinge freilassen. Die Tageszeitung »El País« schrieb, bis zu 137 inhaftierte ETA-Kämpfer könnten in den kommenden Jahren betroffen sein. 56 haben bereits gegen die Anwendung der Doktrin geklagt.

In London wurde am Dienstag über das Schicksal des Basken Antonio Troitiño beraten, der aus Spanien geflohen war, nachdem er nach seiner Freilassung gemäß der Doktrin erneut ins Gefängnis einziehen sollte. Aufgrund eines Europäischen Haftbefehls sitzt er seit 2012 in Großbritannien in Abschiebehaft. Die Abschiebung wurde aber mit Blick auf das EGMR-Urteil ausgesetzt.

Für Spaniens konservative Regierung und die Volkspartei (PP) ist der Straßburger Richterspruch ein harter Schlag. Innenminister Jorge Fernández Díaz und Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón sprachen mit ernster Miene von einem »bedauerlichen« Urteil. Anders als viele Juristen sieht Gallardón keinen Präzedenzfall, zumindest will er »Fall für Fall« prüfen lassen. Für die Zukunft kündigte er die Einführung einer tatsächlich »lebenslänglichen Strafe« an. An der »Antiterror- und der Gefängnispolitik« werde sich nichts ändern, kündigte sein Kollege aus dem Innenressort an. Die Präsidentin der Organisation spanischer Anschlagsopfer (AVT), Ángeles Pedraza, fehlten die Worte, um auszudrücken, was sie fühle. Sie forderte die Regierung auf, dem Urteil des EGMR nicht zu folgen, »Wir haben nie Selbstjustiz geübt, aber unsere Geduld ist begrenzt«, drohte Pedraza.

Anders die Reaktionen im Baskenland. Für dessen Autonomieregierung sprach Josu Erkoreka von einer »Chance für eine neue Gefängnispolitik«. Die sozialdemokratische Baskische Solidaritätspartei (EA) sah die »Ungerechtigkeit Spaniens« bestätigt. Die Politik der Regierung in Madrid basiere auf Vergeltung, um Reaktionäre zu befriedigen.

Hasier Arraiz, Präsident der neuen linken Partei Sortu (Aufbauen), glaubt, dass Regierung und PP den Friedensprozess durch Repression und Gefängnispolitik scheitern lassen will. Die ETA, die vor zwei Jahren auf Gewalt verzichtet hat, solle zur Umkehr oder zur Spaltung provoziert werden, damit Madrid keine Schritte in Richtung baskischer Selbstbestimmung gehen muss.

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