Die Verratene
Angela Merkel deckte die Aktivitäten der NSA - nun ist sie selbst Opfer der Spione
Es war Sommer. Das Erste Deutsche Fernsehen hatte die Kanzlerin zum großen Interview geladen. Merkel gab sich der Jahreszeit entsprechend locker und ließ sich ein paar witzig gemeinte Sätze entlocken. Etwa als die beiden ARD-Journalisten die damals schon schwelende NSA-Affäre zur Sprache brachten. Sie selbst sei nicht abgehört worden, meinte Merkel da noch. »Mir ist nichts bekannt, sonst hätte ich das schon dem Parlamentarischen Kontrollgremium gemeldet.« Was damals witzig gemeint war, ist für die Kanzlerin nun bitterer Ernst. Belauscht von den eigenen »Freunden«. Welch ein Verrat!
Merkel darf allen Grund haben, sich hintergangen zu fühlen. Schließlich unterließ sie es, die Spionageaffäre zum Chefthema zu machen. Wohl auch aus transatlantischer Solidarität. US-Präsident Barack Obama hatte ihr bei einem Treffen am 19. Juni in Berlin versichert, dass die US-Geheimdienste sich künftig eng mit den deutschen Partnern abstimmen würden. Was der Präsident ihr sonst noch versprach, ist nicht bekannt. Doch Merkel ließ sich überzeugen und spielte mit. Auch als herauskam, dass die Amerikaner EU-Einrichtungen mit Wanzen versehen hatten.
Berlin. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat nach dem bekanntwerden, des NSA-Merkel-Skandals von der neu zu bildenden Bundesregierung entschiedene Schritte gegen die überbordende Überwachung gefordert. »Der Bericht, dass auch das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin durch US-amerikanische Geheimdienste abgehört wurde, belegt, wie absurd der politische Versuch war, die Debatte über die Überwachung alltäglicher Kommunikation hierzulande für beendet zu erklären,« sagte er der »Mittelbayerischen Zeitung »Angesichts der neuen Enthüllungen war es geradezu verantwortungslos, die Aufklärung nicht entschiedener vorangetrieben zu haben.« nd
Als sie während einer Pressekonferenz darauf angesprochen wurde, wiegelte sie wieder ab: »Um jetzt noch einmal klar etwas dazu zu sagen, was wir über angebliche Überwachungen auch von EU-Einrichtungen und so weiter gehört haben: Das fällt in die Kategorie dessen, dass man das unter Freunden nicht macht. Das geht nicht.« Freunde bespitzeln sich nicht. Basta!
Um den Freunden zu signalisieren, dass sie die ganze Angelegenheit nicht allzu ernst nahm, schickte sie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nach Washington. Der in vielerlei Hinsicht unbedarfte Bayer sollte dort mit den Amerikanern über die Schnüffeleien sprechen. Reine Symbolpolitik, schimpfte der »Spiegel« später. Der Innenminister ist zum einen für die Auslandsgeheimdienste gar nicht zuständig und zum anderen selbst Freund einer umfassenden Speicherung privater Kommunikationsdaten. Damals ging es noch um das Spionageprogramm PRISM, mit dem die NSA vor allem die nicht verschlüsselten Daten von Bundesbürgern ausspähte. Dass sie trotz ihrer zur Schau gestellten Unbedarftheit in technischen Dingen durchaus wusste, was vor sich ging, zeigte sich wenig später beim Sommerinterview des ZDF. Moderatorin Bettina Schausten präsentierte dort ein Filmchen, in dem Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und Bayerns Landesvater Horst Seehofer Merkels »Sachkunde in jedem Thema« lobten. Die Kanzlerin sei fleißig und arbeite sich in jede Materie gründlich ein, so der Tenor des kurzen Einspielers. Als die Moderatorin dann wissen wollte, warum sich Merkel ausgerechnet in der NSA-Affäre »nicht in alle Details« einarbeiten wolle, kam die Kanzlerin kurz ins Schleudern und ließ durchblicken, dass sie sehr wohl bescheid wisse. Sie versuche zu verstehen, antwortete Merkel mit einem hintergründigen Lächeln, »was sich dahinter verbirgt«. Wahrscheinlich hatte ihr Ronald Pofalla (CDU), als Kanzleramtschef auch zuständig für die Geheimdienste, da längst reinen Wein eingeschenkt.
Es gehört zum Regierungsstil von Merkel, Probleme auszusitzen oder kleinzureden. Als das ganze Ausmaß der Schnüffeleien bekannt wurde, verfuhr man im Kanzleramt nach der Methode Merkel. Geheimdienstkoordinator Pofalla tauchte wochenlang einfach ab. Mitte Juli war der verloren Geglaubte plötzlich wieder da und versprach »eine umfangreiche Prüfung«. Insgesamt drei Mal erschien der Kanzleramtschef daraufhin vorm Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages. Dort versuchte er den Eindruck zu erwecken, dass die Bundesregierung nicht wisse, was die Amerikaner in Deutschland so treiben. Im Anschluss an seinen letzten Auftritt vor dem Gremium beteuerte er, dass »die durch die NSA genutzten Überwachungsstationen in Deutschland der Bundesregierung nicht bekannt« seien. Angeblich hatten die deutschen Nachrichtendienste »keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die NSA in Deutschland entsprechende Überwachungsstationen betreibt«. Im Vertrauen auf die Freunde in den USA erklärte Pofalla die NSA-Affäre im August für beendet. Die Taktik ging auf. Im Wahlkampf spielte der Spionageskandal keine Rolle mehr. Das Konzept der asymmetrischen Demobilisierung, das Merkel zur Perfektion entwickelt hat, ging wieder einmal auf.
Doch die Enthüllungen des »Spiegel« vom Mittwoch, wonach US-Geheimdienste Merkels Handy überwacht haben sollen, sind von solcher Brisanz, dass die Kanzlerin nun reagieren muss. Derzeit ist sie auf dem EU-Gipfel in Brüssel und kann sich so ein wenig Luft verschaffen. Ihr Sprecher Steffen Seibert forderte am Donnerstag schon mal: »Solche Praktiken müssten unverzüglich unterbunden werden«. Die Kanzlerin tat am Donnerstag, was sie bislang immer tat, wenn es brenzlig wurde, und hüllte sich in Schweigen.
Stattdessen meldete sich Pofalla zu Wort. Der Kanzleramtsminister will nun den bisherigen Erklärungen der NSA noch einmal auf den Grund gehen. Alle Aussagen des Geheimdienstes in der Affäre würden erneut überprüft, versprach er nach einer Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Und wieder einmal will Pofalla »vollständige Aufklärung«.
Am treffendsten brachte der Bundestagsabgeordnete Jan Korte (LINKE) Merkels Dilemma auf den Punkt: »Das vollkommene Desinteresse der Kanzlerin an der Aufklärung des NSA-Skandals fällt ihr nun auf die Füße.«
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