Handy-Skandal: Linkspartei fordert Untersuchungsausschuss

Merkel solle sich zu »Zäsur im transatlantischen Verhältnis« erklären / Sondersitzung des Bundestags angestrebt

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Die Empörung über die mögliche Überwachung des Mobiltelefons der Kanzlerin durch US-Geheimdienste hält an. Die Linkspartei sieht nach dem Bekanntwerden der Hinweise auf eine Bespitzelung Angela Merkels das transatlantische Verhältnis »vor einer Zäsur« und fordert einen Untersuchungsausschuss des Bundestags. Die CDU zeigte sich für eine parlamentarische Aufklärung offen.

»Alles spricht dafür, dass der amerikanische Nachrichtendienst NSA nicht nur die Kommunikation von Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern ausgespäht, sondern sogar das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin abgehört hat«, heißt es in einer Erklärung der Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie von Linksfraktionschef Gregor Gyis. Es sei »bitter, dass die Kanzlerin geschwiegen und beschwichtigt hat, als täglich neue Details über die Bespitzelung« von Bundesbürgern bekannt wurden. Es sei zudem »beschämend, dass Angela Merkel die Debatte für beendet erklären ließ, obwohl der massenhafte Bruch der Freiheitsrechte offensichtlich war. Und es ist empörend, dass dieses Land eine Kanzlerin hat, die erst dann empört ist, wenn ihr eigenes Handy abgehört wird«, so die Linken-Spitzen.

Man erlebe »nicht weniger als eine Zäsur im transatlantischen Verhältnis, in der sich viele Entwicklungen bündeln«. Die USA hätten das »Prinzip der multilateralen Partnerschaft durch unilaterale Selbstgerechtigkeit« ersetzt. Nach dem Bekanntwerden der Überwachung von Bürgern und Politikern durch US-Geheimdienste gebe »es kein Zurück zur früheren Normalität europäisch-amerikanischer Beziehungen mehr«, so die Linken-Spitzen. Die USA wird in der Erklärung als »Weltgendarm« mit »Weltmacht-Allüren« bezeichnet, Washington müsse diese Haltung »überwinden. Ein Neuanfang ist nötig, eine Neubesinnung zwingend, eine breite öffentliche Debatte unumgänglich«.

Merkel schulde dem Parlament und der Öffentlichkeit »eine Erklärung«, wie es mit der transatlantischen Partnerschaft weitergehen soll. Die Linken-Spitzen forderten den neu gewählten Bundestag auf, »zu einer Sondersitzung« zusammenzukommen »und in größtmöglicher Geschlossenheit unmissverständlich« klarzustellen, dass die Ausforschung von Bürgern »nicht geduldet wird«. Bereits zuvor hatte Linkenchefin Kipping die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag gefordert. »Die Zeit der Vertuschung ist vorbei«, sagte sie der »Welt«. Der Nachrichtenagentur dpa sagte sie, »das muss eine Angelegenheit des Bundestags werden. Alle Fakten und Hinweise müssen auf den Tisch des Parlaments.«

Die Unionsfraktion im Bundestag hat sich der Idee eines Untersuchungsausschusses gegenüber offen gezeigt. Der Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer sagte der »Leipziger Volkszeitung«, zunächst hätten sowohl der amerikanische Geheimdienst als auch die US-Regierung »die Verpflichtung, rasch und umfassend klar zu machen, in welchem Umfang Abhörmaßnahmen stattgefunden haben«. Es sei zwar nicht die Aufgabe des Bundestages, »den US-Geheimdienst zu kontrollieren«, aber er wolle sich den möglichen Untersuchungsauftrag der Linksfraktion genau ansehen. Grundsätzlich lehne er »den Wunsch nach einem Untersuchungsausschuss nicht ab, wenn ein Bezug zum Bundestag nachweisbar ist, können wir gerne darüber reden«, so Grosse-Brömer.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau sagte, »bei den NSA-Spähgelüsten geht es um einen Generalangriff auf die Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland und auf deren im Grundgesetz verankerte Säulen«. Dies sei nicht erst klar, seitdem es Berichte über eine mögliche Ausspähung von Merkels Mobiltelefon gebe, so die Linkenpolitikerin. Sie verwies darauf, dass Wissenschaftler und Bürgerrechtler eine Enquetekommission zur »Revitalisierung der Demokratie« fordern. »Sie haben Recht. Nicht nur ob der NSA. Es drängt«, so Pau. 


Derweil kritisierte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele den Verfassungsschutz und warf dem Inlandsgeheimdienst Versäumnisse vor. Das Bundesamt müsse »endlich seiner Aufgabe der Spionageabwehr nachkommen«, sagte der Bundestagsabgeordnete der »Rheinischen Post«. Die Behörde könne sich nicht länger auf den Standpunkt stellen, »dass Freunde wie die Amerikaner nicht abgeklärt werden müssen«.

Nach Ansicht der früheren Justizministerin Brigitte Zypries muss der US-Spähangriff auf die Kanzlerin auch zu Konsequenzen im künftigen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD führen. »Unter anderem muss das Thema Deutsche IT, sichere Endgeräte, deutsche beziehungsweise europäische Cloud auf die Tagesordnung«, sagte Zypries dem »Darmstädter Echo«. Auch werde die SPD ein Whistleblower-Gesetz zum Gegenstand der Verhandlungen machen. Zypries ist Verhandlungsführerin der Sozialdemokraten in der Koalitionsarbeitsgruppe »Digitale Agenda«. Zypries sagte zudem, auch diplomatisch könne Deutschland weiter gehen als bisher. »Es gibt auf der Klaviatur der Diplomatie noch mehr Möglichkeiten.« So könne Deutschland ein offenes Eingeständnis der Amerikaner und eine Entschuldigung fordern.

Unterdessen hat der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Hans-Georg Wieck, die möglichen Abhörmaßnahmen der USA gegen Merkel als »Schuss ins eigene Knie« kritisiert. »Man spioniert nicht gegen den Verbündeten; denn man braucht nicht gegen den Verbündeten zu spionieren, weil er ja kein Risiko ist«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung«. »Wenn Verbündete es trotzdem tun, dann ist das ein Schuss ins eigene Knie. Denn sie tragen in zweierlei Hinsicht Verantwortung: für das Ansehen, das sie selbst verlieren, und die Schwierigkeiten des Verbündeten in seinem Land.« Abhörmaßnahmen gegen Verbündete brächten nichts, betonte Wieck - »nur Schaden«. nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -