Manche Verräter verdienen Schutz
Parlament fordert EU-Kommission zu Gesetzesregelung auf, die Whistleblower vor Verfolgung bewahrt
Deutsche Whistleblower sind rar. Und weniger prominent. Während die USA ihre Chelsea Manning und ihren Edward Snowden haben und Australien auf Julian Assange verweisen kann, hat Deutschland immerhin eine Inge Hannemann, die Missstände bei ihrem Arbeitgeber, dem Jobcenter, an die Öffentlichkeit gebracht hat - und dann ihre Stelle verlor.
Dagegen kann sie sich kaum wehren, da die Rechte von Hinweisgebern weder hierzulande noch auf Ebene der Europäischen Union geschützt sind. Das will das Europäische Parlament nun ändern. In seinem Abschlussbericht hat der Sonderausschuss gegen organisiertes Verbrechen, Korruption und Geldwäsche (CRIM) den Schutz von Whistleblowern gefordert, da das Offenlegen von Missständen ein wichtiges Instrument im Kampf gegen organisierte Kriminalität sei. Die Kommission soll daher noch in diesem Jahr einen Vorschlag für nationale Gesetzgebungen erarbeiten, die Personen schützen sollen, die Korruption oder andere Unregelmäßigkeiten aufdecken. Der im vergangenen Jahr eingerichtete Ausschuss fordert darüber hinaus die Schaffung einer neuen Plattform - ähnlich wie Wikileaks -, über die anonyme Anzeigen eingebracht werden können. Umgesetzt werden sollen die Forderungen in einem »Europäischen Aktionsplan 2014 - 2019 gegen organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäsche«.
Während der Abhörskandal des US-Geheimdienstes NSA in Europa für Wirbel sorgt, bringt Japan ein umstrittenes Gesetz gegen den Verrat von Staatsgeheimnissen auf den Weg. Das Kabinett des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Shinzo Abe verabschiedete am Freitag eine Gesetzesvorlage, wonach die Weitergabe von »bestimmten Geheimnissen« zum Schutz der nationalen Sicherheit durch Beamte, Abgeordnete oder andere Personen mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden soll. Zugleich soll ein Nationaler Sicherheitsrat nach US-Vorbild gegründet werden. Kritiker befürchten einen Eingriff in die Pressefreiheit, da der Staat nach eigenem Gutdünken festlegen könne, welche Informationen künftig »bestimmte Geheimnisse« seien. dpa/nd
Obwohl sich der Aktionsplan vor allem auf Zeugen bezieht, die gegen kriminelle Organisationen aussagen, ist anzunehmen, dass eine solche Initiative auch die Rechte solcher Whistleblower stärkt, die Missstände in Unternehmen oder in öffentlichen Verwaltungen aufdecken. Um die geplante nationale Gesetzgebung zu stärken, schlagen die Ausschussmitglieder außerdem vor, das Recht auf Whistleblowing in der Europäischen Menschenrechtskonvention zu verankern. Das soll dazu führen, dass Rechtsverletzungen für Unternehmen und Verwaltungen riskanter werden und schwieriger zu verheimlichen.
Bisher müssen Hinweisgeber damit rechnen, von ihren Arbeitgebern verklagt zu werden, wenn sie Betriebsgeheimnisse ausplaudern. Den mangelnden Whistleblowerschutz in Deutschland hatten zuletzt Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beklagt. Im Falle einer Altenpflegerin, die 2004 wegen mangelhafter Zustände Anzeige gegen das Pflegeheim einreichte, in dem sie arbeitete, erklärten die Richter die Strafanzeige im Sinne der Meinungsfreiheit als zulässig. Außerdem gehöre die Klägerin zu den wenigen Menschen, die überhaupt Missstände erkennen konnte. Wer sonst, heißt die ungesagte Schlussfolgerung, hätte sonst Klage erheben können.
Im Februar 2012 hatte die SPD einen Vorschlag für ein Whistleblowerschutzgesetz in Deutschland vorgelegt. Der wurde allerdings von der Regierungsmehrheit abgelehnt. Im Mai folgte eine ähnlich gerichtete Gesetzesinitiative der Grünen. Doch auch diese fand keine Mehrheit.
In anderen Ländern sind die Rechte von Whistleblowern besser geschützt. In den USA gibt es den »Whistleblower Protection Act«, der es Mitarbeitern von Unternehmen ermöglicht, ihrerseits gegen Arbeitgeber zu klagen, wenn sie wegen der Veröffentlichung von Firmeninterna diskriminiert werden. Offensichtlich schützt das Gesetz jedoch nicht in jedem Fall - vor allem nicht, wenn der Gegner die Regierung ist: Chelsea Manning wurde Ende Juli zu 35 Jahren Haft verurteilt, weil sie - damals noch als Bradley Manning - der Enthüllungsplattform Wikileaks geheime US-Dokumente zum Einsatz im Irak zugespielt hatte. Auch Edward Snowden, der den Spionageskandal des US-Geheimdienstes NSA publik gemacht hat, hat kein Vertrauen in den gesetzlichen Schutz und hält sich in Russland versteckt. Selbst Wikileaks-Gründer Julian Assange fürchtet die US-Justiz. Seit fast eineinhalb Jahren hat er sich in der ecuadorianischen Botschaft in London verschanzt. Sollte Großbritannien seiner habhaft werden, würde er an Schweden ausgeliefert, wo er wegen Vergewaltigungsvorwürfen gesucht wird. Assange geht davon aus, dass Schweden ihn an die USA ausliefern würde.
Das deutsche Whistleblower-Netzwerk begrüßte den Vorschlag des EU-Sonderausschusses, der von allen großen Fraktionen mitgetragen wurde. Das Netzwerk forderte alle Parteien auf, »umgehend konkrete Taten und Gesetze folgen zu lassen«. Besonders CDU und SPD als voraussichtlich künftige Große Koalition seien in der Pflicht, effektiven Whistleblowerschutz auch in Deutschland durch klare gesetzliche Regelung sicherzustellen. Gemeinsam mit anderen Organisationen plant das Netzwerk eine Kampagne, um die Initiative des EU-Parlaments zu unterstützen.
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