Immer auf Sendung
Gewerkschaft fordert Anti-Stress-Verordnung für Arbeitnehmer und Strafen für uneinsichtige Firmen
Mit dem Stress ist es so eine Sache. Ein bisschen davon braucht der Mensch, um leistungsfähig und kreativ zu sein. Wissenschaftler nennen diesen positiven »Druck« Eustress. Er setzt Adrenalin frei und bereitet den Körper darauf vor, Anstrengungen zu bewältigen, etwa zu fliehen, zu kämpfen oder endlich die Abschlussarbeit fertig zu schreiben.
In die Medizin wurde der Begriff erst in den 50er Jahren übertragen. Schnell stellte sich heraus, dass diese lebenserhaltende Funktion des menschlichen Körpers auch ein zerstörerisches Potenzial enthielt, wenn Stressphasen andauerten, der Betreffende quasi »immer auf Sendung war« und keine Chance zur Entspannung bekam. Das nennt man dann Distress, der zu Herz-Kreislauf-Problemen, Magenkrankheiten oder Depressionen führen kann. Jüngsten Erhebungen der Techniker Krankenkasse zufolge, die auch regelmäßig die psychischen Probleme ihrer Versicherten untersucht und von Jahr zu Jahr ein wachsendes Ausmaß feststellen muss, sind sechs von zehn Deutschen regelmäßig im Stress. Jeder Fünfte stehe dauerhaft unter Druck, und besonders aufgerieben fühlen sich die 35- bis 45-Jährigen, weil bei ihnen vieles zusammenkommt: Job, Familie kleine Kinder und die beginnende Pflege der Eltern.
Bei der Hälfte der Bevölkerung herrscht laut Studie das Gefühl vor, dass das Leben in den vergangenen drei Jahren stressiger geworden ist. Zwei Drittel glauben, dass der Stress heute größer ist als vor 15 bis 20 Jahren, nur ein Drittel findet, dass heute einfach mehr über Stress gesprochen wird. Beim Umgang mit Stress gilt der Umfrage zufolge unter knapp 60 Prozent der Befragten der Grundsatz »Augen zu und durch«. 17 Prozent versuchen Stress zu vermeiden und weitere 17 Prozent gehören zu den »Loslegern«, die unter Stress erst zur Höchstform auflaufen. An letztere dachte vermutlich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, als sie angesichts der Studie behauptete, Arbeit habe in aller Regel einen positiven Effekt auf die Gesundheit. Dies allerdings dürfte nur gelten, wenn Überstunden nicht die Regel wären und Kindergärten nicht Mangelware, wenn die Pflege der Älteren von der Gesellschaft honoriert würde und Hungerlöhne ein seltenes Relikt aus urkapitalistischen Zeiten wären - also momentan in einer übersichtlichen Zahl von Beschäftigungsverhältnissen.
»Der Arbeitsstress hat ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen«, findet Annelie Buntenbach, Vizevorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. »Deshalb brauchen wir klare Regeln wie eine Anti-Stress-Verordnung, mehr Mitbestimmung für Betriebs- und Personalräte sowie Beschäftigte und auch mehr Sanktionen für die Arbeitgeber, die sich nicht an Recht und Gesetz halten.« Unterstützt wird die Forderung von der Linksfraktion im Bundestag: »Arbeit darf nicht krank machen«, sagt Jutta Krellmann.
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