Das erste Leben des Herrn Jauß

Uni Konstanz setzt sich mit der SS-Vergangenheit eines angesehenen Professors auseinander

  • Holger Reile, Konstanz
  • Lesedauer: 3 Min.
In Konstanz machte sich Hans Robert Jauß einen Namen als Literaturtheoretiker. Erst kurz vor seinem Tod wurde seine SS-Vergangenheit bekannt. Jetzt soll dazu ein Theaterstück entstehen.

Hans Robert Jauß (1921-1997) war ein weltweit angesehener Romanist und Literaturtheoretiker. Mit Wolfgang Iser und Hans Blumenberg gründete Jauß die einflussreiche Forschungsgruppe Hermeneutik und Poetik. Ab 1966 lehrte er an der neu gegründeten Universität Konstanz in Baden-Württemberg. Erst in den 1990er Jahren wurde in überregionalen Publikationen intensiver über Jauß’ SS-Vergangenheit diskutiert. In Konstanz selbst bügelte man die Erkenntnisse über die Verstrickungen des Wissenschaftlers mit dem Nationalsozialismus eher ab.

Nur so ist es zu verstehen, dass der »Südkurier« zu Jauß’ 75.Geburtstag im Dezember 1996 schrieb: »In jüngerer Vergangenheit fand erneut die soldatische Karriere des Hans Robert Jauß während des Dritten Reiches ein über Deutschland hinausgehendes Interesse und sorgte für breite Darstellung in deutschen wie französischen Medien. Es fehlte dabei nicht an Versuchen, den ehemaligen Obersturmführer der Waffen-SS, der für persönliche Tapferkeit unter anderem mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet war, über den Vorwurf einer vermeintlichen nationalsozialistischen Vergangenheit hinaus auch in seiner wissenschaftlichen Reputation anzugreifen«.

Gerhard Zahner, im Hauptberuf Rechtsanwalt in Konstanz und anerkannter Bühnenautor, hat sich nun den brisanten Stoff vorgenommen. Seine monatelangen Recherchen führten ihn auch an die Prager Universität. Dort fand er Unterlagen, die beweisen, dass Jauß »an einer Junkerschule unterrichtet hat und damals nichts anderes getan hat, als SS-Offiziere ideologisch und waffentechnisch für den Krieg vorzubereiten. Und da hatte ich mein Thema: Schule als Waffe.« Jauß, auch das ergaben die Nachforschungen, war in Kienschlag, einer Junkerschule in der Nähe von Prag, Chef der 10. Inspektion. Gleichzeitig soll er die rechte Hand von General Krukenberg gewesen sein, der die Französische Freiwilligenarmee »Charlemagne« geführt hat, die gegen Kriegsende versuchte, Berlin zu verteidigen.

In der Wehrmacht gab es damals rund 7000 französische Freiwillige, die sich allesamt dem Kampf gegen den Bolschewismus verpflichtet fühlten. Bereits 1944 hatten die Nationalsozialisten beschlossen, diese Soldaten in die Waffen-SS zu integrieren. Jauß, erklärt Zahner, »war teilweise ihr Ausbilder und muss sehr wohl gewusst haben, was mit seinen Schülern passiert ist.«

Im Militärarchiv Freiburg stieß der Jurist Zahner auf zusätzliche Akten, die eindeutig belegen, dass etwa 100 Freiwillige in einer Liste als »Unerwünschte« aufgeführt wurden. Sie galten als »nicht tragbar« für die SS, weil sie weder rassisch noch ideologisch den Vorstellungen der Nazis entsprachen.

Auf Zahners Tisch stapeln sich Unterlagen, die über das Schicksal der Ausgesonderten Auskunft geben: »Hinter den Namen dieser Unerwünschten, darunter angebliche Trinker, Defätisten, Juden, Antinationalsozialisten oder Homosexuelle, stand entweder ein KL für Konzentrationslager oder ein AL für Arbeitslager. Die meisten von ihnen wurden in das Konzentrationslager Stutthof gebracht, eines der schlimmsten Lager damals.« In den Nachkriegsjahren, so Zahner, habe Jauß »dieses wichtige Thema nie angesprochen«. Für den schreibenden Anwalt ist somit klar: »Daraus wächst meines Erachtens die Aufgabe für die Universität, diese Problematik ›Schule als Waffe‹ aufzuarbeiten.« Er hat sein Stück dem Rektor bereits zugeschickt, denn er will es an der Universität aufführen. Die Rückmeldung, erklärt Zahner erfreut, »kam schnell und war durchweg positiv«. Die Konstanzer Universität ist für ihn der ideale Ort dafür, »denn hier hat Jauß 1967 seine legendäre Antrittsrede über die Rezeptionsästhetik gehalten, mit der er weit über die Region hinaus bekannt wurde«.

Jauß, sagt Zahner rückblickend, »war vor seiner Konstanzer Zeit ein völlig anderer, der es schaffte, ohne allzu große Brüche in völlig unterschiedlichen Systemen Karriere zu machen. Und diesem anderen, früheren Hans Robert Jauß, möchte ich mit einer Art von Gegenantrittsrede näher kommen.«

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