Gewinne für die Linken? Eine Prognose für Europa

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Die nächste größere parteipolitische Bewährungsprobe für die Linken sind die Europawahlen im kommenden Mai. Man darf auf spannende Diskussionen über die europapolitischen Konzepte gespannt sein - und es wird flügelpolitisch motivierten Streit geben. So viel, so sicher. Unklar ist natürlich der Ausgang der Wahlen.

Hierzulande ist das sonst rege Umfragewesen noch nicht in Gang gekommen, aus andern Ländern kamen zuletzt eher schlechte Nachrichten - in Frankreich lag der rechtsradikale Front National bei den Demoskopen sogar schon einmal vorn. Das hat, die »Alternative für Deutschland« und die Wahlerfolge der Rechtsparteien in Österreich lassen unfreundlich grüßen, die Befürchtung genährt, es könne bei den Europawahlen 2014 einen weiteren Rechtsruck geben.

Eine ganz andere Prognose gibt nun aber der »Standard« ab - und beruft sich dabei auf »qualifizierte Prognosen (...), die im EP auf Basis von nationalen Wahlergebnissen, Umfragen und unter Berücksichtigung der in 28 EU-Staaten sehr verschiedenen Wahlsysteme angestellt werden«. Und wovon künden diese nun? »Anders als 2009 dürfte tendenziell diesmal die Linke profitieren.«

»Die Analyse ist komplex«, schreibt Thomas Mayer im »Standard«, und leider unterlässt er es auch, seine Quellen zu nennen. Soviel zur Sicherheit von Prognosen, zumal bei Europawahlen das Problem der schwachen Wahlbeteiligung (Dritteldemokratie) auch die Vorhersagen schwieriger macht. Aber die Ergebnisse sind dennoch interessant:

  • Die bislang größte Fraktion im Europaparlament, die Europäische Volkspartei, muss demnach mit einem Verlust von 275 auf 219 Mandate rechnen.
  • Die Fraktion der Sozialdemokraten darf sich leichte Zugewinne ausrechnen - 194 auf 217 Sitze.
  • Die Linksfraktion GUE/NGL könnte laut der Prognosen von 35 auf 53 Mandate wachsen und die Grünen überholen, die nur noch 41 der derzeit 58 Sitze erreichen.

Interessant ist der Ausblick, weil er nicht auf ein nationales Wahlgeschehen beschränkt bleibt, sondern den Versuch unternimmt, die Entwicklungen in den Einzelstaaten auf einen Nenner, sagen wir: auf eine Prognose zu bringen. Anders formuliert: Neben den Zuwächsen der Rechten in Frankreich und Österreich konstatiert, muss - zum Beispiel für die Frage, wie stark welche Fraktion wird - auch berücksichtigen, dass die Rechten in anderen Ländern Schwäche zeigen.

»Spannend wird es auch im EU-skeptischen linken bis linksextremen Lager«, schreibt der »Standard«. Nun, sieht man einmal von den ideologischen Implikationen einer solchen Formulierung ab, ist es doch interessant, was dann geschrieben wird:

»Generell kann die Linke mit einer Stärkung rechnen, wobei nicht alle nationalen Teilparteien automatisch zur Aufnahme in die Fraktion Vereinte Europäische Linke / Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) qualifiziert wären. Die GUE verfügt derzeit über 35 Mandate. Auguren sagen derzeit einen Zuwachs auf 53 voraus. Den Zuwachs könnten Syriza in Griechenland, aber auch die SP-Linke aus Frankreich unter Jean-Luc Melénchon bringen. Derzeit wird die Linksfraktion von den deutschen Abgeordneten der Linkspartei angeführt, die gemäßigt EU-kritisch auftreten. Syriza und Melanchon würden eine Zuspitzung, einen Ruck noch mehr nach links bedeuten. Gut und gerne 17 EU-Mandate werden auch der EU-skeptischen Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo in Italien zugetraut, wobei unklar ist, ob er sich der GUE anschließen würde (die dann sogar zur drittstärksten Kraft im Straßburger Parlament aufsteigen könnte). Aber: Die Linksfraktion dürfte in jedem Fall die Grünen in Straßburg überflügeln, die nach dem Abgang des Charismatikers und Fraktionschefs Daniel Cohn-Bendit in Frankreich fast ein Viertel ihrer Mandate in Straßburg einbüßen werden.«

Nun gilt natürlich, was immer richtig ist: Prognosen sind das eine, die politische Wirklichkeit ist etwas anderes. Da aber die Europawahlen bereits hier und da als entscheidende Wegmarken auch für die Entwicklung der deutschen Linken, nicht nur der gleichnamigen Partei, angesehen werden, lassen sich mit dem Rückenwind eines vorhergesagten Erfolge ein paar wichtige Fragen etwas gelassener beantworten - etwa zur Bündnisfähgkeit mit europakritischen Kräften, zur Rolle, die eine womöglich deutlich stärkere Linksfraktion im Europaparlament erst einmal ausfüllen müsste. Und nicht zuletzt für die programmatische Aufstellung zu den Wahlen: Für welches Europa, für welche EU mobiliieren die linken Kräfte hierzulande?

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