- Politik
- Ende des Frühlings von Christian Riss
Luxusleiden
Wenn Dreißigjährige überlegen, ob sie jetzt schon erwachsen werden wollen oder doch lieber noch nicht, ist das von possierlicher Dramatik. Pubertät, so scheint es, wird zum Dauer zustand von immer mehr Menschen. Die Mittelstandsjünglinge sehen sich schwer wiegenden Problemen gegenüber. So müssen sie sich immerzu um irgendwelche lästigen Erbschaften kümmern. Das wiederum empfinden sie als unzumutbare Behinderung bei der Entwicklung des eigenen Ich zum Kunstgewerbeartikel.
Martin aus Berlin etwa erbt des Haus seiner Mutter in Südfrankreich und muss es nun vor dem Verkauf leerräumen. So viele Entscheidungen und so viel Arbeit auf einmal bringen den mit seinem Leiden am Luxus bislang ausreichend Beschäftigten völlig durcheinander. Zumal es in Südfrankreich außer Deutschen auch noch Französinnen gibt, die ja bekanntlich unendlich liebeshungrig sind. Folglich steht Martin in seinem Seelenjammer quasi über Nacht zwischen zwei Frauen, die er beide liebt. Oder doch nur eine? Oder keine von beiden? Oder vielleicht doch beide, aber irgendwie nicht richtig? Eine unendliche Geschichte, über die man endlos lange reden kann, wenn man sonst nichts zu tun hat - und die über Klischees nicht hinauskommt.
Christian Riss (mehrfach Regieassistent bei Egon Günther) wollte wohl eine Synthese aus Eric Rohmer und Ingmar Bergman. Aber Rohmer ist anderes als Kitsch und Bergman mehr als eitle Selbstbeschau. Wenn man sich das Schwere zu leicht macht, wird unweigerlich immer eine Lyrik der wohltemperierten Mitte daraus. Es fehlt den Figuren an jener präzisen Kontur, die das Besondere erst vom Allgemeinen abhebt. Halten wir es Christian Riss zu Gute, dass es sein erster größerer Film (Abschlussarbeit der Hochschule für Film und Fernsehen »Konrad Wolf«) war, den er noch dazu nur mittels Gründung eines eigenen Filmverleihs ins Kino bringen kann. Und dass er über haupt den Versuch wagte, mehr als bloße filmische Konfektionsware herzustellen. Aber dann gelten auch die harten Maßstäbe für Gelingen und Misslingen.
Von den »Abgründen der menschlichen Psyche« wollte uns Riss erzählen. Warum gelingt das nicht? Weil wir nichts erfahren von Martin (Hans-Werner Meyer) und seiner Passion zu Annie, der jungen Nachbarin und Haushälterin der Mutter. Weil alles so ausstejlungshaft äußerlich erscheint und das beschworene »mediterrane Licht« allein noch nicht poetisch wirkt. So wenig, wie das Zugleich von deutscher und französischer Sprache geheimnisvoll.
Ein Film, der sich so angestrengt ums Atmosphärische bemüht und dann so gründlich eben daran scheitert, ist kaum zu retten. ?
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