Meißner Lehrermord vor Gericht
Ein Drittel der Augenzeugen der Tat noch immer schwer traumatisiert
Dresden/Meißen/Vilsbiburg (dpa/Reuters/ddp/ND). Wegen Mordes an seiner Lehrerin steht seit Dienstag ein 15-jähriger Schüler vor dem Dresdner Landgericht. Die Frau war vor genau einem halben Jahr mit 22 Messestichen vor den Augen ihrer Schüler am Meißner Gymnasium Franziskaneum getötet worden. Der Jugendliche hatte kurz nach seiner Festnahme die tödliche Messerattacke auf die 44-jährige Pädagogin gestanden. Als Motiv hatte der Junge Hass angegeben.
Die Öffentlichkeit ist vom Prozess ausgeschlossen. Dem 15-Jährigen drohen bei Verurteilung wegen Mordes bis zu zehn Jahre Haft. Nach Angaben des Staatsanwalts hörte das Gericht am Vormittag den 15-Jährigen an, der wegen des großen Medienandrangs offenbar durch einen Hintereingang in den Gerichtssaal gebracht worden war. Ob sich der Angeklagte nur zur Person oder auch zur Tat äußerte, wollte der Staatsanwalt nicht verraten.
Nach der Befragung des Schülers sollte am ersten Verhandlungstag das psychiatrische Gutachten vorgestellt werden. Bisher wurden 18 Zeugen, darunter drei Mitschüler und drei Lehrer aus der Schule, sowie ein Psychologe und ein Gerichtsmediziner geladen. Für die Verhandlung vor der Großen Jugendkammer sind zunächst fünf Tage angesetzt.
Der Schüler war laut Anklage am 9 November vergangenen Jahres kurz nach 8 Uhr maskiert in das Klassenzimmer seiner neunten Klasse in Meißen gestürmt. Ohne Vorwarnung ging er mit zwei Messern auf die Lehrerin Sigrun Leuteritz los. Ein Stich ins Herz war tödlich. Die Frau konnte sich noch aus dem Klassenzimmer auf den Flur schleppen, wo sie in den Ar men von Kollegen starb. Der Junge konnte nach kurzer Flucht wenige Stunden nach der Tat festgenommen werden. Keiner der Mitschüler hatte versucht, den Jugendli- ? chen von seiner Attacke abzuhalten. Psychologen erklärten dies mit dem Schock, den die Tat ausgelöst hatte.
Von der Befragung der drei als Zeugen geladenen Kameraden des 15-Jährigen erhofft sich der Staatsanwalt Aufschlüsse darüber, in welchem Maße die Tat geplant war. Mitschüler hatten kurz nach der Messerattacke vor laufenden Kameras er zählt, der Jugendliche habe die Tat angekündigt. 13 Ermittlungsverfahren gegen die Mitschüler wegen Mitwisserschaft waren später eingestellt worden, weil sie die Drohung nicht ernst genommen hatten.
Der Unterricht am Franziskaneum in Meißen lief am Dienstag unterdessen weitgehend normal ab. Auch hier hatten sich zahlreiche Medienvertreter versammelt. Denke er an den Mord, schwankten seine Gefühle zwischen Trauer und der Verantwortung für die ihm anvertrauten Schüler und Lehrer, sagte Direktor Dietmar Liesch. Noch immer herrsche am Gymnasium mit rund 1050 Schülern große Betroffenheit, sagte Trauma-Experte Georg Pieper. «Ein Drittel der Jugendlichen aus der Klasse, in der die Tat geschah, sind so schwer traumatisiert, dass ohne therapeutische Hilfe dauerhafte Schäden bleiben würden.» Der Psychologe aus Friebertshausen bei Marburg betreut die etwa 30 Schüler und 15 Lehrer, die unter den Auswirkungen der Tat vom vergangenen November leiden.
Deutschlands Pädagogen sind nach Angaben des Deutschen Lehrerverbands nach dieser spektakulären Gewalttat vor sichtiger und sensibler im Umgang mit ihren Schülern geworden. «Man wird dünnhäutiger», sagte Verbands-Präsident Josef Kraus am Dienstag. Allerdings gebe es in Deutschland keine «amerikanischen Verhältnisse». Trotzdem müssten Eltern ihren Kindern etwa den Konsum von Gewaltvideos und sadistischen Computer spielen verbieten, forderte Kraus.
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