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Skandal-Urteil bestätigt: Freispruch

DLV-Rechtsausschuss begründet Urteil mit Versäumnissen bei Doping-Kontrollen

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Jürgen Holz

Es kam, wie nicht anders erwartet: Der DLV-Rechtsausschuss lässt Dieter Baumann trotz der positiven Doping-Proben vom 19 Oktober und 12. November 1999 ungestraft laufen. Das dreiköpfige Gremium sprach den einstigen Olympiasieger aus Leverkusen vom Dopingverdacht frei. Damit folgt der Ausschuss nicht dem Antrag des DLV-Präsidiums, das eine zweijährige Sperre für den 35-Jährigen beantragt hatte.

Der Rechtausschuss traf seine Entscheidung mit völlig neuen Begründungen, und zwar mit Versäumnissen bei Entnahme, Lagerung und Transport der beiden Urinproben Baumanns und wer tete das als Entlastung für den Athleten. In eine Probe Baumanns sollen Bakterien gelangt sein. Der DLV wiederum betonte, dass diese Versäumnisse weder er noch seine Gremien zu verantworten haben.

In der schriftlichen Urteilsbegründung, die der DLV am Freitag herausgab, wird kritisiert, »dass trotz vorhandener Möglichkeiten der kühlen Lagerung und eines gekühlten Transportes mit geradezu unglaublicher Sorglosigkeit die wichtigsten Beweismittel, nämlich die Urinproben, einmal für sechs Tage, einmal für vier Tage Temperaturen ausgesetzt waren, die nicht lege artis sind. Weder die Lagerung noch der Transport entsprachen den Vor gaben der IAAF-Verfahrensrichtlinien für Dopingkontrollen. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass das Wichtigste aller Beweismittel, nämlich die positiven Proben, die für die Beweisführung des Antragsgegners (Baumann) auch ein taugliches Beweismittel gewesen wären, gerade hierfür nicht mehr tauglich waren.«

Der Ausschuss folgte mit seinem Skandal-Urteil auch der Attentats-Theorie Baumanns: »Nimmt man hinzu, dass der Antragsgegner anlässlich eines Wettkampfes am 5.9.1999 bei welchem er mit einer sanktionsfähigen Urinkontrolle rechnen musste, positiv gewesen ist und

Dieter Baumann: «Ich habe das Urteil erwartet. Der Freispruch ist bindend, ich glaube nicht, dass dieses Urteil durch die IAAF aufgehoben werden kann.» Klaus R. Müller, Leiter des Dopinganalyse-Labors in Kreischa: «Ich bin empört über dieses Urteil, weil es keine Begründung dafür gibt. Ich hoffe, dass der Freispruch nicht endgültig ist und der inter nationale Verband den Urteilsspruch revidieren wird. Der Rechtsausschuss hat das Prinzip einer sachlichen und wissenschaftlich fundierten Vorgehensweise meiner Meinung nach verlassen.» Manfred von Richthofen, DSB-Präsident: «Der DSB nimmt das Urteil zur Kenntnis, aber es bleibt ein unangenehmer Beigeschmack. Die Beteiligten an der Dopingprobe haben mir versichert, dass die Prodie Applikation erst kurz vor dem Wettkampf, jedenfalls weit innerhalb der Zeitspanne, innerhalb der Entdeckungsgefahr besteht, erfolgt ist, dann verdichtet sich aus der Gesamtschau die These des Antragsgegners zu einem schlüssigen Er gebnis, dass er nicht wissentlich gedopt hat, sondern von einem unbekannten Dritten anlässlich eines Wettkampfes positiv gemacht werden sollte, um einen unbequemen Bekämpfer des Dopings in seiner Glaubwürdigkeit zu erschüttern.» Baumann Attentats-Version, bei der er

ben unbeschädigt im Labor angekommen sind, es gab keinen Anschein von verdor benen Proben.« Istvan Guylai, Generalsekretär des Weltverbandes IAAF- »Es kann sein, dass das Urteil des DLV-Rechtsausschusses noch nicht das Ende dieser Geschichte ist. Unsere Experten werden die Begründung für dieses Urteil auswerten und dann entscheiden, ob es akzeptiert wird, oder ob man sich weiter damit befassen muss.« Wolf-Rüdiger Umbach, Präsident des Landessportbundes Niedersachsen: »Wir sind enttäuscht über das Urteil. Unsere Anti-Doping-Bemühungen werden auf den Kopf gestellt, wenn Sportler trotz nachgewiesener Dopingvergehen doch an den Start gehen dürfen.« Manfred Böhmer, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer: »Ich war ziemlich überrascht, fast wortlos, als ich von dem Freispruch für Baumann erfuhr. Es ist unzunächst die Ost-Läufer Stephane Franke und Damian Kallabis, dann den ehemaligen DDR-Trainer Bernd Schubert und schließlich «Mister X» als «mögliche Täter» ansah, die seine Zahnpasta mit dem anabolen Steroid Norandrostendion ver sehen haben sollen, wird solange unglaubwürdig bleiben, solange kein ver meintlicher Täter ausfindig gemacht ist.

Ob Baumann, dessen Anwalt Dr. Michael Lehner spontan vom «Freispruch 1. Klasse» sprach, jedoch bei Olympia star ten darf, hängt nun von der IAAF ab, deren Anti-Doping-Kommission das Urteil des Rechtsausschusses voraussichtlich Ende Juli/Anfang August prüfen wird. Ist nach Ansicht der IAAF im «Fall Baumann» nicht nach den Regeln entschieden worden, wird das Verfahren an das IAAF- Schiedsgericht weitergereicht. Dann wür de Baumann sofort erneut suspendiert.

glaublich. Deutlicher kann man doch nicht überführt werden. Soll es unterschiedliche Arten der Doping-Bekämpfung geben, vor dem Fall Baumann und nach dem Fall Baumann?« Axel Schulz, Ex-Profi-Boxer- »Wer positiv getestet wird, muss bestraft werden. Schließlich kann sonst jeder kommen und sagen, ich war beim Chinesen, Italiener oder Japaner, die müssen mir was ins Essen gemischt haben. Als Sportler bin ich selbst für alles verantwortlich und muss im Ernstfall die Konsequenzen tragen. Die Begründung ist skandalös. Irgendeiner versucht hier etwas zu vertuschen.« Armin Baumert, Leistungssport-Direktor des DSB: »Das ist nicht unbedingt gut für den deutschen Sport. Zumindest ist es nicht gut für die Köpfe der Sportler. Über die Folgen für unser Kontrollsystem kann man jetzt nur spekulieren, auch darüber, ob es Sinn macht, die Kontrollen weiter mit Steuergeldern zu finanzieren.«

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