Ein hart umkämpftes Feld

In Turin beginnen morgen die IX. Paralympischen Winterspiele

  • Klaus Weise
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Olympischen Spiele sind vorbei, die Leidenschaft ist es nicht. Das jedenfalls versprechen einige wenige Plakate im Stadtbild Turins und verkünden mit Anspielung auf den Slogan des Wintersport-Highlights im Februar, der da lautete »The passion lives here« optimistisch »Das Feuer brennt weiter! Wir freuen uns auf die Paralympics!« Morgen werden die IX. Winter-Paralympics in Turin eröffnet.
Einstweilen hat sich das Sportfest der Athleten mit Handicap fest etabliert - obwohl seine Geschichte im Vergleich zu den Spielen der »Fußgänger« (Behinderten-Slang für die Nichtbehinderten) kurz ist. 1960 in Rom fanden die ersten Sommer-Paralympics statt, 1976 ging im schwedischen Örnsköldsvik die Winterpremiere mit 250 Sportlern aus 14 Nationen über die Bühne. Die Entwicklung danach vollzog sich zwar aus Sicht vieler Behinderter noch widersprüchlich, zögerlich und zu langsam, aber gleichwohl unaufhaltsam. 1989 wurde, analog zum IOC, ein Internationales Paralympisches Komitee (IPC) gegründet, seit Albertville/Tignes 1992 werden Winter-Paralympics an den gleichen Orten wie die Olympischen Spiele ausgetragen.
Nagano 1998 markierte aus deutscher Sicht den Durchbruch zu einer anerkannten Sportart in den Medien. Der Behindertensportverband (DBS) registrierte über 1500 Berichte in Zeitungen, über vier Stunden im TV und mehr als 200 Radioreportagen.

Deutschland schwächelt
Freilich ist auch der Behindertensport ein hart umkämpftes Feld. Deutschland gilt in Sachen der Unterstützung durch Politik und Wirtschaft eher als »Entwicklungsland«, während zum Beispiel in den USA, Großbritannien, Spanien, neuerdings auch Russland und China andere finanzielle Dimensionen üblich sind. In Athen sind die Deutschen schon ins zweite Glied gerückt, im Winter aber stellt Schwarz-Rot-Gold, wie bei den »Fußgängern«, noch eine Macht dar. 17 Gold-, 1 Silber- und 15 Bronzemedaille - der DBS gewann die Nationenwertung 2002.
Diesmal werden es wohl weniger Plaketten, denn aus den 92 Wettbewerben von Salt Lake City sind in Turin an den zehn Tagen bis zum 19. März nur noch 58 Medaillen-Events in fünf Sportarten geworden - Alpiner Skilauf, Skilanglauf, Biathlon, Eisschlitten (Sledge)-Hockey, Rollstuhl-Curling.
Geschuldet ist das dem »Prozentsystem«, das die Wettkämpfe übersichtlicher und spannender machen soll. Die sogenannten behindertenspezifischen Startklassen, die mitunter zu winzigen Teilnehmerfeldern und zu einem Dutzend Sieger in einer einzigen Disziplin führten, verschwinden. Alle Athleten, die im Stehen starten, treten gegeneinander an, genauso die im Sitzen agierenden und die sehgeschädigten Sportler. Die spezifische Behinderung des Einzelnen wird mit einem Prozentfaktor berechnet und somit eine Vergleichbarkeit erzielt. Ob es nun für den »Normalverbraucher« überschaubarer wird, bleibt fraglich.
Vor vier Jahren in Salt Lake City waren es vor allem die deutschen Alpinen und die Nordischen, die den Medaillenspiegel gülden glänzen ließen. Gerd Schönfelder aus Kulmain gewann auf Hängen und Pisten ebenso viermal Gold wie Martin Braxenthaler (Traunstein), in der Loipe holte Verena Bentele (München) vier goldene.

Kaum »Ossis«
Unter den 35 Nominierten (dazu kommen Begleitläufer) sind mit Frank Rennhack, Robert Papst (beide Görlitz / Sledge Hockey), Biathlet und Langläufer Thomas Oelsner (Oberhof), dem 2002 in Salt Lake City wegen eines Dopingsfalls zwei Goldmedaillen aberkannt wurden und der anschließend zwei Jahre gesperrt wurde, und dem 17-jährigen Leipziger Christian Junghanns (Ski alpin) gerade mal vier »Ossis«. Angesichts der starken Sport-Stützpunkte in den neuen Ländern ist damit eine große Leistungsreserve für den Behindertensport in Deutschland genannt. Karl Hermann Haack, Präsident des DBS, kündigt jedenfalls schon einmal »eine kritische Bewertung des Förderkonzeptes« an. Dabei werde beraten, »ob man ähnlich der Sportfördergruppe der Bundeswehr auch Athleten mit Behinderungen etwa bei der Polizei oder beim Bundesgrenzschutz unterbringen kann«.



Zahlen: 9 Wettkampftage, 58 Entscheidungen, 535 Athleten aus 39 Nationen, 6000 freiwillige Helfer, 1000 Journalisten, 250 000 Zuschauer, 280 Dopingkontrollen.

TV: ARD vom 11.-14. März, ZDF vom 15.-19. März, jeweils etwa eine Stunde täglich, Eröffnungsfeier morgen ab 18 Uhr auf Phoenix. 

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