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mm Im Städtchen Grünhain gehen langsam die Lichter aus

Nach Traum vom touristischen Goldrausch droht die kommunale Pleite

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Hendrik Lasch, Dresden

Schöner unsere Städte und Gemeinden - der Slogan zeitigt angesichts sinkender Einnahmen für sächsische Kommunen fatale Folgen und bringt manchmal sogar das Ende der Selbstverwaltung.

In Grünhain gehen die Lichter aus - im Wortsinn: Die 2500 Einwohner des Erzgebirgs-Städtchens müssen bei nächtlichen Spaziergängen demnächst im Dunkeln tappen. Für die Straßenbeleuchtung hat die Stadt ebenso wenig Geld wie für die Löhne der 12 Mitarbeiter der Stadtverwaltung, denen deshalb zum Quartalsende gekündigt wurde. Grünhain ist pleite. Mit knapp zehn Millionen Mark steht die Stadt in den Miesen. Die Gewer besteuer brachte zuletzt lediglich 130000 Mark - kein Posten, der einen Schuldenabbau wahrscheinlich macht. Den bisher Verantwortlichen traut der Landrat nicht mehr zu, den Ort aus dem Schuldensumpf zu ziehen. Der Bürgermeister Heinrich Auerswald, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, wird in den Ruhestand geschickt. Dann regiert ein Zwangsver walter.

Der Bankrott des Städtchens offenbart Parallelen zu früheren kommunalen Pleiten im Freistaat. Schuld am Grünhainer Debakel dürfte der Traum vom touristischen Goldrausch sein, der sich in einem großzügigen Sport- und Freizeitzentrum samt Minigolfanlage manifestiert. Auch der Bürgermeister von Seiffen, Johannes Glöckner, scheiterte, weil sich das Spielzeugdorf beim Buhlen um Besucher über hob. Das eigentlich als Touristenattraktion geplante Spaßbad entwickelte sich zum finanziellen Desaster. Die Betreibergesellschaft war nach einem Jahr pleite. Zudem wurden den Verantwortlichen schwere Fehler bei der Ausschreibung und zweifelhafter Umgang mit 25 Millionen Mark Fördergeldern vorgeworfen. Glöckner musste seinen Hut nehmen - es kam ein Zwangsverwalter. Ähnlich ging es Aue, Wolkenstein und dem vogtländischen Klingenthal. Das Musikstädtchen war 1999 unter Kuratel gestellt worden, nachdem der Schuldenberg auf 7,2 Millionen Mark angewachsen war. Mitverantwortlich war ein äußerst ungeschickter Ver trag, der die Stadt zu Zahlungen für eine neu gebaute, aber nicht genutzte Stadthalle verpflichtete.

Eigenbetriebe, wie sie unter anderem zum Betrieb von Bädern und anderen touristischen Einrichtungen gegründet wer den, haben einen immer größeren Anteil an den Kommunalschulden im Freistaat. Vom gesamten Schuldenberg, der am Jahreswechsel 24 Milliarden Mark betrug, lasteten 13,2 Milliarden Mark auf Eigenbetrieben und Krankenhäusern. In der mit 19906 Mark je Bürger am tiefsten in der Kreide stehenden Gemeinde Wiesa im Kreis Annaberg entfielen 94 Prozent der Gesamtschulden auf derartige Unternehmen. Insgesamt sind von den 537 kreisangehörigen Gemeinden in Sachsen nur acht völlig schuldenfrei.

Die Schulden sind mit verantwortlich dafür, dass sich die Finanzsituation der sächsischen Kommunen weiter ver schlechtert. Um 10 Prozent auf nunmehr 147 Millionen stiegen allein die Zinsausgaben der Gemeinden im letzten Jahr. Weil gleichzeitig die Steuereinnahmen zurückgehen - der geringere Gemeindeanteil an der Einkommensteuer schlägt mit einem Minus von 62 Millionen Mark zu Buche, auf einnahmeträchtige Betriebe warten viele Gemeinden vergebens ver größerte sich die Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben auf insgesamt 174 Millionen Mark. Daran ändern auch die steigenden Zuweisungen und Investitionsbeihilfen vom Land wenig. Die wuchsen zwar laut Statistischem Landesamt um 43 auf 1264 Millionen Mark - gehen aber, wie Kommunalpolitiker klagen, auch mit stetig wachsenden Aufgaben einher.

Am Spagat zwischen fehlenden Einnahmen und der Notwendigkeit, trotzdem in Straßen, Gebäude und Freizeiteinrichtungen zu investieren, verzweifeln immer mehr Stadtkämmerer. Die Zwangsver waltung ist dabei nur das letzte Mittel, Fehlentwicklungen zu verhindern, und meist mit drastischen Einschnitten im kommunalen Leben verbunden. Im Fall von Hoyerswerda - Schuldenstand inclusive Eigenbetriebe derzeit 8313 Mark pro Einwohner - schob die Finanzaufsicht schon früher einen Riegel vor. Das Regierungspräsidium Dresden genehmigte zwar letzte Woche den Haushalt 2000, versagte aber angesichts der «Schieflage im Haushalt» die Genehmigung für einen 1,3 Millionen Mark schweren Kredit. Es bestünden, so der Bescheid, Alternativen - «insbesondere durch sparsamere Ausgabenbewirtschaftung».

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