- Politik
- Zum 100. Geburtstag des Filmregisseurs Robert Siodmak
Er kannte den Ruhm und die Einsamkeit
See-odd-mack«, so ist überliefert, war auf der Rückseite seines Regiestuhls und auf seinen Drehbüchern zu lesen. Übersetzt könnte das etwa heißen: »Komm und sieh dir den verrückten Kerl an«. Über 60 Filme sind unter seiner Regie entstanden, in Deutschland vor 1933, in der französischen und amerikanischen Emigration und seit den Fünfzigern wieder in Europa, auch in Westdeutschland.
Dem exzellenten Filmemacher Robert Siodmak hat das Leben mancherlei Prüfungen auferlegt. Seiner Biografie nach - er nahm es wohl selber nicht so genau - wurde er in Memphis/Tennessee (USA) geboren, aber tatsächlich hat er vor 100 Jahren, am 8. August 1900, in Dresden als Sohn des Kaufmanns Ignatz Siodmak und der Leipzigerin Rosa Philippine Blum das Licht der Welt erblickt. In Bad Koesen und Dresden besucht er ein Internat und ein Gymnasium, in kleinen Rollen steht er auf der Bühne des Staatlichen Schauspielhauses Dresden, bei Erich Ponto nimmt er Schauspielunterricht. Mit einer Wander bühne tingelt er 1918 durch Norddeutschland. Aber 1921 wird er Buchhalter einer Dresdner Bank, doch die Inflation beendet seinen angestrebten Höhenflug als Börsenspekulant.
In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre kommt Siodmak in der Filmbranche an, übersetzt Zwischentitel, arbeitet als Cutter für Harry Piel, als Assistent der Regisseure Lind und Bernhardt. Als am 4. Februar 1930 im Berliner U T. am Kur fürstendamm sein mit geringen Mitteln produzierter Film »Menschen am Sonntag« uraufgeführt wird, kommen er und seine Mitarbeiter Billy Wilder, Edgar G. Ulmer, Bruder Curt Siodmak, Eugen Schüfftan und Fred Zinnemann in die Schlagzeilen. Der halbdokumentarische, wesentlich mit einer Handkamera gedrehte Film begleitet junge Berliner auf einem Ausflug an den Nikolassee, beobachtet sie hautnah. Die schlichte Er zählweise, fern der verlogenen, schwülstigen Dramaturgie des marktbeherr sehenden Kommerzfilms, brachte realistische Farben in den deutschen Film. Erich Pommer, damals noch Produzent für die Ufa, bot Siodmak die Chance, einige Filme mit sozialem Gestus zu drehen (»Abschied«, dem sich allerdings das Publikum wegen seines krassen Realismus verweigert, oder die Kriminalgroteske »Der Mann, der seinen Mörder sucht« mit Heinz Rühmann, das Prostituierten-Drama »Voruntersuchung« mit Albert Bassermann und Charlotte Ander, »Stürme der Leidenschaft«, ein Eifersuchtsdrama mit Emil Jannings und Anna Sten).
Als Siodmak Eingriffen der Ufa in seine Arbeiten ausgesetzt ist, wechselt er zu einer anderen Berliner Produktion. Nach einer Novelle von Stefan Zweig entsteht 1932/33 der Film »Brennendes Geheimnis« über die Gefühle und Seelenregungen eines Kindes im Konflikt mit seiner Mutter und ihrem Verführer. Das Nazi-Blatt »Der Angriff« bescheinigt am 21 März 1933 dem Film »krankhafte Schwüle und dumpfe Verworrenheit«. Der faschistische Propagandaminister Goebbels verbannt Foto: AKG Pressebild/Binder
den Film wenige Tage nach der Premiere aus den Kinos. Robert Siodmak, zunehmend Repressionen der neuen Machthaber ausgesetzt, emigriert im April 1933 nach Paris, sein Bruder Curt flüchtet über London nach Amerika, wird dort ein er folgreicher Drehbuchautor, Bruder Wer ner geht nach Palästina, Rolf, der Jüngste, nimmt sich das Leben.
In Frankreich kann Siodmak mit Unter Stützung von Verwandten einige mehr oder weniger erfolgreiche Filme drehen. Künstlerisch herausragend, aber ein finanzieller Misserfolg ist »Mollenard« (1937), das unkonventionelle Sittenbild einer an Erstickungsanfällen leidenden Gesellschaft. Der Kriminalfilm »Pieges« (Fallensteller, 1939), über die Fahndung einer jungen Frau nach einem Mädchenmörder, findet sein Publikum und lässt die Kassen klingeln. Einen Tag vor Kriegsausbruch, am 31. August 1939 verlässt Siodmak Frankreich, flüchtet in die USA.
1943 gelingt ihm dort mit »Phantom Lady« der Durchbruch. Bald wird er zu einem der namhaftesten Regisseure des amerikanischen »Film Noir«. Häufig stehen gescheiterte Existenzen im Mittelpunkt seiner Arbeiten. Der Thriller »The Killers« (Rächer der Unterwelt, 1946) nach einer Kurzgeschichte von Ernest Hemingway bringt ihm eine Oscar-Nominierung ein, macht den Debütanten Burt Lancaster auf Anhieb zum Star und begründet die Karriere von Ava Gardner.
Von 1943 bis 1950 gehört Robert Siodmak zu den Spitzenregisseuren der USA. Als in Hollywood die Hexenjagd gegen Demokraten und Kommunisten beginnt, kehrt auch Robert Siodmak nach Europa zurück. In London und Paris entstehen Filme mit Burt Lancaster, Eva Bartok, Gina Lollobrigida. Der Produzent Artur Brauner in Berlin bietet ihm die Möglichkeit einer Verfilmung von Hauptmanns Drama »Die Ratten« (1955) mit Maria Schell, Curd Jürgens, Heidemarie Hatheyer, Gustav Knuth. Die Handlung wird in die 50er Jahre transponiert, aus dem geschundenen polnischen Dienstmädchen Piperkarcka, die aus Not ihr Kind ver kauft, wird eine Deutsche, die durch den Krieg nach Berlin gekommen ist. Siodmak, der Vertriebene und wieder Heimgekehrte, zeichnet eine bittere Porträtgalerie deutscher Mitläufer, die die Verbrechen der jüngsten Vergangenheit schon wieder verdrängt haben. Als 1955 auf der Berlinale zum letzten Mal die Preise durch eine Publikumsabstimmüng vergeben werden, geht der Goldene Berliner Bär an Siodmaks »Ratten«. Auch mit »Nachts, wenn der Teufel kam« (1957) erregt Siodmak Aufsehen. Das politische Drama über den 80-fachen Frauenmörder Bruno Lüdke, den die Gestapo zehn Jahre jagte, erringt zahlreiche Preise, darunter in Karlovy Vary für die beste Regie.
Siodmak lernt aber auch die Kehrseite westdeutscher Kulturpolitik kennen. Aus dem in Frankreich gedrehten Film »Die Affäre Nina B.« (1961), ein im Milieu deutscher Kriegsverbrecher und Finanzhaie angesiedeltes Erpresserdrama, werden in der Synchronfassung alle Bezüge auf den deutschen Faschismus entfernt. In den folgenden Jahren kann Siodmak mehrere Projekte, die ihm am Herzen liegen, nicht mehr verwirklichen. Nach einem Film über die Flucht von DDR-Bürgern nach Westberlin (»Tunnel 28«) realisiert er nur noch Karl-May-Filme, den historischen Monumentalfilm »Kampf um Rom« und in England Fernsehfilme. Ein Projekt »Sarajewo« zerschlägt sich, und obwohl Siodmak Probeaufnahmen mit Horst Buchholz für »Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull« macht, geht die Regie an Kurt Hoffmann. Eine Neuverfilmung von Brechts »Dreigroschenoper« mit Giulietta Masina und Curd Jürgens scheitert und eine Produktion über den Reichstagsbrand mit Mario Adorf als Marius van der Lubbe kommt nicht zustande.
Siodmak, der jüdische Emigrant, findet in Deutschland seine Heimat nicht wieder. Er sieht, dass alte Nazis immer noch Einfluss haben. Leute, die von 1933 bis 1945 an den Hebeln der faschistischen Filmwirtschaft saßen, sind in der westdeutschen Filmindustrie untergetaucht oder sitzen in Chefetagen der Banken und der Filmförderung. Haben die den kritischen Realisten Siodmak, den jüdischen Emigranten, ins Leere laufen lassen? Gewiss, 1971 wird ihm ein Filmband in Gold für sein »hervorragendes Wirken im deutschen Film« verliehen, aber seit 1969 bleibt sein Regiestuhl leer. Einsam, fast mittellos, verbringt er in der Schweiz die letzten Lebensjahre. Seine Frau stirbt im Januar 1973. Siodmak flüchtet sich in den Alkohol, Kumpane rauben seine Wohnung aus, am 10. März 1973 erliegt er in Locar no einem Herzschlag.
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