Werbung

Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Ein Band mit Briefen Ninon Hesses erzählt von den Jahren an der Seite des Dichters

«Dieses lautlose Dasein und Verschwinden»

  • Lesedauer: 6 Min.

Von Klaus Bellin

Im Februar 1910 schrieb sie ihm zum ersten Mal. Sie hatte, tief berührt, «Peter Camenzind» gelesen, und sie wollte ihm, dem Autor, dafür danken. «0 wie ich sie beneide, die Dichter!», schrieb sie schwärmend. Sie sagte nicht, wer sie war. Erst zweieinhalb Jahre danach, im zweiten Brief, stellte sie sich vor. «Ich bin ein junges Mädchen», teilte sie nun mit, «lebe in Czernowitz, komme jetzt in die 8. Gymn.-Klasse und darf nächstes Jahr nach bestandenem Abiturium in Wien weiterstudieren.» Sie hieß Ninon Auslaender und später, ab 1918, Ninon Dolbin. Sie hörte nicht auf, für Hermann Hesse zu schwärmen. 1927 zog sie in seine Nähe. 1931 wurde sie seine dritte Frau. Die sie kannten, sprechen mit großem Respekt von ihr. Bernhard Zeller, der langjährige Leiter des Schiller-Nationalmuseums in Marbach, beschreibt sie als «sensible, kluge und zugleich starke Frau, geprägt durch einen klaren Verstand und eine konsequente Willenskraft». Siegfried Unseld, der Ninon Hesse 1966 in einem Nachruf würdigte, sagt, sie sei «ein merk würdiger Mensch» gewesen, «streng und doch warm, männlich distanziert und doch voll weiblicher Hingabe, zierlich in der Gestalt, beherrscht in der Haltung, belesen, gescheit, neugierig, arbeitsbesessen und voll aufmerksamer Güte». Und Gisela Kleine, die im Juli 1954 Gast in Montagnola war und später Briefe mit Ninon wechselte, nennt sie «eine außergewöhnliche Frau», rühmt ihr «nobles Naturell», ihre Geisteskraft, Vitalität und dass sie Hesse «eine treue, kluge und instinktsichere Gefährtin» war.

Was man sonst noch von Ninon Hesse weiß, hat man vor allem ihr, Gisela Kleine, zu danken. Sie sorgte schon vor Jahren dafür, dass es bei ein paar Stichworten, bei den flüchtigen Konturen nicht geblieben ist. 1982 veröffentlichte sie ein Buch, das den Dialog des Paares eingehend schilderte und später unter dem Titel «Zwischen Welt und Zaubergarten» auch als Suhrkamp-Taschenbuch erschien. Und jetzt ergänzt sie das Doppelbildnis mit einem Band, der in einer Auswahl die Briefe vorstellt, die Ninon dem bewunderten Dichter und angebeteten Mann zwischen 1910 und Weihnachten 1961 geschickt hat. Es sind Botschaften und Geständnisse einer Frau, die das Kunststück fertig brachte, einem so eigenwilligen, schwierigen, hochsensiblen Mann über dreieinhalb Jahrzehnte hinweg den Halt zu geben, den er brauchte. Dass es kein leichtes Los war, wusste man. Wie schwierig die Aufgabe gewesen ist, sieht man erst hier.

1927 als sie sich von ihrem Mann, dem Karikaturisten Benedict Fred Dolbin, trennte und zu Hesse zog, meinte sie, ihre Rolle sei die «entsagungsvollste in dem Drama von uns dreien». Sie irrte sich nicht. Sie verließ den geliebten Partner, der sich immer seine Freiheiten genommen hatte (und mit dem sie freundschaftlich verbunden blieb), um einem anderen wieder auf die Beine zu helfen. Hesse, der gerade am «Steppenwolf» schrieb, steckte in einer tiefen Krise, und ihr Entschluss stand fest: Sie würde fortan seine Beschützerin sein. Sie hat diese Entscheidung nie in Frage gestellt, auch nicht, als sich herausstellte, dass dieses Zusammenleben Entbehrungen und Verzicht mit sich bringt und dazu eine Ergebenheit voraussetzt, die nach den eigenen Sehnsüchten nicht fragt.

Zur Nähe des Paares hat immer eine gewisse Distanz gehört. Schon als Ninon im Juli 1927 Wien verließ und zu Hesse kam, bezog sie Quartier im Nebenhaus. Ihre Mahlzeiten nahm sie im Restaurant ein. Die Gespräche, die man tagsüber führte, wurden auf Zetteln und in Briefen festgehalten, die man dem anderen vor die Tür legte (so erklärt es sich auch, dass der Band viele Schreiben aus Zeiten bringt, die das Paar am selben Ort zubrachte). An dieser Praxis hat sich auch später, als man in Montagnola unter einem Dach lebte, nicht viel geändert. Ninon Hesse hielt ihrem empfindlichen Mann Kopf und Rücken frei. Sie verschaffte ihm Ruhe, kümmerte sich ums Haus und ver sorgte die Gäste, sie munterte ihn auf, wenn die Arbeit stockte, überhäufte ihn mit Zärtlichkeiten und guten Worten. Sie war die stille Fee in seinem Leben.

Ihre Briefe an den «lieben, lieben Vogel» sind eine ewige Liebeserklärung. «Du bist für mich ein Wunder», schrieb sie im November 1929 «das sich immer wieder er neuert. Immer wieder, wenn ich Dich sehe, überkommt mich ein Staunen: wie reich bist Du! klopft mein Herz.» Nach der Heirat wird sie sogar vom «beglückendsten Wunder» ihres Lebens sprechen. Was immer sie sah oder aufnahm, kam ihr wie ein Weg zu ihm vor. Sie erwärmte sich an seinen Büchern, las ihm vor, damit er seine kranken Augen nicht über Gebühr strapazierte, war mit Selbstverständlichkeit immer zur Stelle, wenn es nötig war, und blieb bei alledem dezent im Hinter grund. (Ein einziges Mal nur, 1955, als sie für ihren Mann in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm, erschien sie für Augenblicke in der Öffentlichkeit.)

B. F Dolbin hat von einem «Selbstopfer», ja von «Götzendienst» gesprochen. Eine Cousine sah es genauso. Ninons Leben mit Hesse, meinte sie, sei «nur Opfer» gewesen. Es waren Blicke von draußen. Sie, Ninon, sah es anders. «Du bist ein großer Baum», schrieb sie 1926 an Hesse, «und ich bin ein kleiner Vogel und sitze im Schatten Deiner Zweige.» Sie fühlte sich geborgen in seiner Nähe, auch wenn sie wusste, dass ihn die Fliege an der Wand stören konnte und manchmal auch sie. Er fürchtete um sein «stilles und einfaches Leben» bei jeder Gelegenheit. Der Umzug ins neue Haus bedrückte ihn genauso wie die Irritationen, die Ninons Gegenwart er zeugen konnten. «Du bist rascher und klüger als ich im Fragen», schrieb er ihr 1931, «im Aussagen, im intellektuellen Klarstellen von Seelischem. Ich bin darin langsamer und schwerer, ich muss außer meinem Leben auch meine Dichtung mit hindurch retten durch das Chaos. Du hast in letzter Zeit mehrmals das Tempo gestört, in dem meine Seele lebt.»

Was sie in ihren Briefen nie berührte, hat sie allein im Tagebuch ausgesprochen.

«Ich lernte es schwer», notierte sie da, «dieses lautlose Dasein und Verschwinden, das Immer-Bereit-Sein und Nicht- Dasein, je nachdem, wie es der andere brauchte... Ich hatte doch so etwas wie eine eigene Arbeit und ein eigenes Leben gehabt, und nun war ich auf einmal sozusagen ein Mensch zweiten Ranges, das ist gar nicht bitter gesagt, also ein Mensch, der für jemand anders lebt, nicht für sich...» Und dennoch: Ein bloßes Anhängsel, ein Wesen ohne jede Eigenständigkeit ist sie nie gewesen. Die Briefe, die sie nach Hause schickte, wenn sie unter wegs war, zeigen sie mit ihrer wissenschaftlichen Neugier und Entdeckerfreude, ihren ausgeprägten archäologischen Interessen. Sie beherrschte das Altgriechische fließend und war dabei, auch noch das Neugriechische zu lernen. In ihrem Arbeitszimmer umgab sie sich mit kunsthistorischen, archäologischen und religionsgeschichtlichen Werken. Sie liebte Griechenland und Kreta, und sie brach aus ihrem streng geregelten, von Pflichten dominierten Dasein im Frühjahr 1937 zum ersten Mal aus, indem sie nach Griechenland reiste. Sie hat die Exkursionen sehr genossen. Ihre Briefe, anschauliche Berichte einer Frau, die in ihrer Passion aufgeht, bezeugen es Seite für Seite. Zuweilen scheint es, als habe sie sich erst in der griechischen Landschaft, in der griechischen Kunst richtig entdeckt.

Gisela Kleine hat in den Band ihre ganze Zuneigung, ihre Vertrautheit mit dieser Liebes- und Ehegeschichte investiert. Ihre ausgiebigen Erläuterungen runden das Briefwerk zum großen Porträt. Hermann Hesse hat darin nur den Part des stummen, allgegenwärtigen Empfängers. Und doch lernt man auch über ihn eine Menge dazu.

Ninon Hesse: Lieber, lieber Vogel. Briefe an Hermann Hesse, ausgewählt und erläutert von Gisela Kleine. Suhrkamp Verlag. 619Seiten, gebunden, 64 DM.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -