Kitagesetz gegen Kinderchancen

Ärzte warnen vor schwerwiegenden Folgen der CDU-Familienoffensive

  • Peter Liebers, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.
Der wachsende Widerstand gegen die »Familienoffensive« der Thüringer CDU und dem damit verbundenen neuen Kindertagesstättengesetz erhielt jetzt auch Unterstützung von Kinder- und Jugendärzten.
Viele Kinderärzte des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) befürchteten negative Auswirkungen des Gesetzes auf die Betreuung von Vorschulkindern. Der Thüringer Landesvorsitzende des BVKJ, Andreas Lemmer, erklärte unlängst, die rechnerische Personalausstattung sei zu knapp bemessen, um Problemkinder zu integrieren. Kinderärzte sähen die im Gesetz enthaltenen Anreize, zugunsten eines Erziehungsgeldes auf die Betreuung in einer Kita zu verzichten, mit Sorge. Das drohe vor allem jenen Kindern zum Nachteil zu geraten, die in besonderem Maße von fachgerechter Betreuung profitieren könnten. Das Förderpotenzial von Kitas sei von großer Bedeutung. Dagegen klingt es wie Zynismus, wenn Thüringens Sozialminister Klaus Zehn (CDU) verkündet, mit der Familienoffensive wolle die Landesregierung den Freistaat noch kinderfreundlicher machen - und dabei ausgerechnet die Wahlfreiheit der Eltern hervorhebt, selbst zu entscheiden, ob ihre Kinder eine Kita besuchen sollen. Dass diese Entscheidung maßgeblich von der finanziellen Lage der Familien abhängig ist, wird dabei wohlweislich ausgeblendet. Dass die Realität mit den Vorstellungen der CDU wenig gemein hat, macht auch eine Untersuchung des Erfurter Pädagogik-Professors Rainer Benkmann deutlich. Danach sind über 20 Prozent der Thüringer Kinder im Alter bis zehn Jahren von Armut betroffen. In Erfurt betrifft das sogar jedes dritte Kind. Die Auswirkungen seien erheblich, warnte der Landesgeschäftsführer des Kinderschutzbundes, Carsten Nöthling. Schlechterer Gesundheitszustand, geringere Bildungsabschlüsse und ein eingeschränkter Freundeskreis gehörten dazu. Der jugendpolitische Sprecher der Landtagsfraktion der Linkspartei, Matthias Bärwolff, warf der Landesregierung vor, diese Tatsachen zu ignorieren. Statt Sonntagsreden über Familienfreundlichkeit zu halten, solle sie ihre Pflicht erfüllen und eine Politik gestalten, die Armutskarrieren von Kindern verhindert. Neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit komme unentgeltlichen Bildungsangeboten große Bedeutung zu. Das Mindeste sei, ein kostenfreies Vorschuljahr zu gewährleisten. Diese Forderung wird auch vom BVKJ unterstützt. In einem in Weimar vorgelegten Forderungskatalog wird die kostenlose Kinderbetreuung ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr und der weitere Ausbau der Ganztagsbetreuung im vorschulischen und schulischen Bereich als besonders dringlich gefordert. Zugleich wird eine verbesserte qualitative und quantitative Ausstattung der Einrichtungen verlangt, um die Erziehungs- und Bildungsaufgaben im vorschulischen Alter zu verbessern und die Kinder »schulfähig« zu machen. Das kann in Thüringen allerdings schwierig werden. In Kommunen und bei den Trägern der Kitas macht sich angesichts der drohenden Finanzkürzungen Unsicherheit breit. In Gera werden schon betriebsbedingte Kündigungen von Erzieherinnen nicht mehr ausgeschlossen. Dabei ist von 90 Betroffenen die Rede. Im Etat der Stadt für das Fachpersonal von Kitas klafft derzeit noch ein Loch von 1,4 Milliarden Euro. Landesweit wird damit gerechnet, dass vor allem kleine Einrichtungen auf dem Land nicht mehr finanzierbar sind und geschlossen werden müssen.

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