Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Sklavenarbeit und katholische Kirche im Hitlerstaat

Der Bischof und das Moor

  • Raoul Gefroi
  • Lesedauer: 5 Min.

Halbherzig und verschämt gibt die Katholische Kirche - erst auf Druck von außen - zu, ebenfalls in NS-Zeit Zwangsarbeiter beschäftigt zu haben. Bekannt ist ihre Verstrickung in die Verbrechen des NS-Regimes seit über fünf Jahr zehnten. Zahlreiche Publikationen, auch von engagierten Christen, belegen deren tiefe Schuld. Erinnert sei hier exemplarisch an die Rolle des Bischofs von Osnabrück. Über dessen Haltung zur Sklavenarbeit unterm Hakenkreuz geben detailliert Auskunft eine vor 15 Jahren in Bremen vom Donat & Temmen Verlag editierte und leider im Buchhandel vergriffene Dissertation von Elke Suhr «Die Emslandlager - Die politische und wirtschaftliche Bedeutung der emsländischen Konzentrations- und Strafgefangenenlager 1933-1945» sowie die vom Landkreis Emsland 1986,1987 und 1995 herausgegebenen Materialien «Die Zerstörung von Recht und Menschlichkeit in den Konzentrations- und Strafgefangenenlagern des Emslandes 1933-1945».*

Die Emslandlager erfüllten wie alle anderen nazistischen Lager die ihnen vom Machtbündnis der NSDAP zugedachte Funktion: Sie dienten der Unterdrückung jedweden Widerstandes, der Propaganda und der Bereitstellung eines immensen Arbeitskräftereservoires. Im NS-Machtbündnis war die katholische Kirche fest integriert. Die Nazis konnten sich auf die mit dem Konkordat vom 8. Juli 1933 besiegelte Anerkennung ihres Regimes durch die katholische Kirche stützen. Der für das Emsland zuständige Osnabrücker Bischof Dr. Wilhelm Berning (1877 1955) gehörte zu den eifrigen Befürwortern des Konkordats; seine Haltung zur neuen Macht bekräftigte er, als er die weltlichpolitische Funktion eines Staatsrates annahm.

1936 besuchte der Bischof mehrere Emslandlager- am 25. Juni war er u.a. in den Lagern VI in Oberlangen, V in Neusustrum, III bei Rhede, II im Aschendor fermoor und I im Börgermoor. Im Aschendorfermoor hinterließ er einen Vermerk im goldenen Lagerbuch «Deutscher Wagemut und Fleiß hat mit Klugheit aus Heide und Moor fruchtbaren Boden geschaffen.» Bei der Besichtigung eines neuen Kanals mit einer Sohlenbreite von sechs Metern bemerkte der Bischof: «Hierhin müssten alle die geführt werden, die noch zweifeln an der Aufbauarbeit des drittem Reiches!» Im Lager II hielt er eine Ansprache an «meine lieben SA-Männer». Er betonte, «ich selber bin Emsländer und muss gestehen, dass ich meine Heimat erst jetzt in ihrer schönsten Form kennen gelernt habe, da doch früher hier alles öde, wüst und ohne irgendein Straßennetz war. Ich danke Ihnen, dass Sie mir die Heimat gezeigt haben in der Form, die das dritte Reich daraus gemacht hat. Lange lag das Emsland im Dornröschenschlaf, bis der Prinz kam und es weckte; dieser Prinz ist unser Führer Adolf Hitler ... Unserm Vaterland, unserer Heimat und unserem Führer ein dreifaches Sieg-Heil!»

Die im Prager Exil erscheinende sozialdemokratische Zeitung «Vorwärts» kommentierte unter der Schlagzeile «Moral im Moor» den bischöflichen Besuch: «Ein deutscher Bischof aus der hohen katholischen Kirchenbürokratie, der hochwürdige Herr Bischof und Staatsrat Berning aus Osnabrück hat ein deutsches Konzentrationslager, das berüchtigste, das Moorlager Pagenburg besichtigt. Keine Gräuelmeldung, beileibe nicht. Vielleicht hatte doch tags vorher an der Stelle, wo jetzt Hochwürden seinem Herrgott am Altar zelebrierte, der Prügelbock gestanden? Vielleicht ergoss sich das Weihwasser in denselben Sand, in den vierundzwanzig Stunden früher noch das Blut der Gefolterten gespritzt war.»

Wen bedachte damals der hohe katholische Würdenträger mit seinem Segen? Jene, die grausam folterten, quälten und mordeten. Und was der Bischof als deutschen Wagemut, Fleiß und Klugheit pries, war ein «Rückfall in die Barbarei». Die Arbeit der KZ-Häftlinge und Zwangsar beiter hatte nach den Worten des preußischen Justizministers Kerrl «schwer, hart und eintönig» zu sein. Nur mit Spaten, Hacken, Schaufeln mussten die Gefangenen Ödland zur Errichtung von Neusiedlerstellen anfangs für die SA-Wachmannschaften, später für viele «Mitläufer» - kultivieren. Der völlige Verzicht auf Technik bezweckte, durch höchste Ausbeutung der Arbeitskraft Investitionen zu vermeiden und Haftkosten zu senken. Die «Ems-Zeitung» vom 28. Juni 1936 hob bei ihrer Berichterstattung über die erwähnte Kanalbesichtigung des Bischofs ausdrücklich hervor, «dass der Kanal ohne Baggereinsatz gebaut wurde».

Die eingesperrten Widerstandskämpfer, alle aus rassischen oder religiösen Gründen Verfolgten sowie später auch Militär gerichtsverurteilte sowie Kriegsgefangene, die im Moor schuften mussten, erhielten keine Arbeitsvergütung. Justizstrafgefangene bekamen 18 bis 20 Pfennige «Lohn» pro Arbeitstag. Noch vor Kriegsbeginn ordnete Roland Freisler, 1934 bis 1942 Staatssekretär im Reichsjustizministerium, und 1942 bis 1945 berüchtigter Präsident des «Volksgerichtshofes», eine

einheitliche Arbeitszeit von zwölf Stunden für alle Gefangenen in den Moorlagern an. Zunächst betrug das geforderte Tagesar beitspensum 10 cbm gekühlte Erdmassen, später sogar 25 cbm.

Die Gefangenenverpflegung bestand aus minderwertigen Nahrungsmitteln, gering an Nährwert und unsachgemäß zubereitet. Im Lager IV Walchum verabreichte man den Häftlingen zu Versuchszwecken monatelang sogar synthetisches Kohlefett, im Lager II Aschendorfermoor hat man über einen längeren Zeitraum synthetische Wurst den Mahlzeiten beigegeben. Im Bestreben, die Haftkosten so minimal wie möglich zu halten, wurde auch der medizinischen Versorgung der Gefangenen wenig bzw. gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Kranke galten als unproduktiv, die nicht mehr nützen. Die Unterkünfte der Gefangenen waren nicht beheizbar. Die Kleidung und das Schuhzeug waren nicht wettergerecht.

An der Seite der Organisatoren der Zwangsarbeit leistete der Bischof von Osnabrück, seit September 1933 auch Senator der «Deutschen Akademie» und seit 1942 «Titularerzbischof», fleißige propagandistische Arbeit. Er missbrauchte sein hohes Kirchenamt zur Täuschung über den Naziterror. Die Grenzen einer moralischen Mitschuld hat Berning weit über schritten.

Seine Lobpreisung der Zwangsarbeit im Emsland ist nicht nur im damaligen «Reichsgebiet» wahrgenommen worden. Dennoch ging die katholische Kirchenleitung in Deutschland nie auf Distanz zu dieser Schmach. Der Bischof blieb bis zu seinem Tode 1955 im Amt. Er behauptete nach 1945, dass er von der Gestapo bespitzelt worden sei und seine Propaganda- Reden in NS-Zeit «eine Form des Kampfes gegen Hitler» gewesen wären.

Der Appell an die heutige katholische Kirchenleitung, dem Fonds zur Entschädigung der Zwangsarbeiter beizutreten, ist somit nicht nur begründet, weil einige Klöster, Abteien, Stifte oder Orden jahrelang Zwangsarbeiter missbrauchten (vgl. ARD-«Monitor» vom 20. Juli sowie ND vom 25.7., 28.7 und 3.8.).

*Die Dissertation kann im Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (PF 1132, 26851 Papenburg) ausgeliehen werden; auch die anderen Materialien sind dort erhältlich.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.