Verlage bitten zum Ball

Neues vor der WM auf dem deutschen Zeitschriften- und Zeitungsmarkt

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 4 Min.
Als erster und erneut auch größter Gewinner der Fußball-WM steht natürlich der Weltverband FIFA längst fest. TV-Rechte plus Hauptsponsoren bringen ihm rund 1,8 Milliarden Euro in die Kassen. Der Kuchenrest ist indes auch noch sehr beachtlich. So rechnet die deutsche Werbewirtschaft damit, dass das WM-Jahr die Nettoeinnahmen von rund 3,9 Milliarden Euro im Vorjahr um etwa zehn Prozent anheben könnte. Ganz vorn im Rennen sind die Fernsehanstalten und die TV-Geräteindustrie. Aber auch der Printmarkt buhlt massiv um neue werbende Geschäfts- sowie die kaufende und lesende Privatkundschaft. 11 Freunde mit Steilpass Ins lange Zeit bescheidene deutsche Angebot allgemeiner Sportzeitschriften (kicker und Berliner Fußballwoche vom Olympiaverlag, Sport Bild von Springer und Bravo Sport von Bauer) kamen in jüngster Zeit neue Fußballtupfer. Vorreiter sind seit drei Jahren die 11 Freunde, im Untertitel Magazin für Fußballkultur. 70 000 Hefte sollen laut Verlagsangaben (Intro, Köln) inzwischen monatlich verkauft werden. Das pfiffig bis anspruchsvoll gemachte Blatt, dessen Stil jenseits des drögen kicker-Sportmagazins sowie der boulevardesken Sport-Bild liegt, gilt inzwischen als echter Aufsteiger in der Branche. Um eine ähnliche Zielgruppe rangeln sich Player (Media Network, Hamburg) und Rund (Olympia-Verlag, Nürnberg). Rund hatte zum Auftakt 30 000 Käufer und zielt bis zur EM 2008 in Österreich auf das Doppelte bis Dreifache. Player gibt es seit Herbst 2005. Das Magazin bietet vor allem üppige Titelgeschichten über Personen der deutschen Szene: Kahn (34 Seiten), Kuranyi (40), Podolski (38). Beiden Magazinen ist deutlich anzumerken, was die mediale Fußball-Vermarktung spätestens seit David Beckham mehr und mehr prägt: die Pop- und Eventkultur. Mit herkömmlicher sportjournalistischer Vor- und Nachbereitung hat das nichts mehr zu tun. Echte und vermeintliche Fans bekommen statt dessen hochglänzende Antworten auf Fragen, die sie selbst wahrscheinlich nie gestellt hätten. Etwa warum Marcelinho so gern in die Ipanema-Disko geht, Thiam immer mit dem ICE zum Training kommt und Schweinsteiger den Friseur gewechselt hat. Dazwischen hängen die Macher möglichst viele Lifestyle-Anzeigen mit Verkaufspreisen zwischen 6000 bis 30 000 Euro pro Seite. Der Reiz des Neuen besteht für Inserenten darin, eventuell Zugang zu anderen Zielgruppen zu bekommen als nur einfach an herkömmlichen Sport interessierten. Medienplaner wie Holger Ferkinghoff (Pilot Group, Hamburg) gehen davon aus, dass sich solche Sportmagazine nur mit sechsstelligen Auflagen dauerhaft auf dem Markt halten. Und auch das sind dann nur Nischen. Was darunter liegt, wird schnell wieder verschwinden. Champ (ursprünglich Motor Presse, Stuttgart) machte schon nach der Testnummer Schluss und ist jetzt auf Verlagssuche, Doppelpass (Handelsblatt und Wirtschaftswoche) und Countdown (Medienfabrik Gütersloh) sollen bis zur WM ohnehin nur zwei Mal erscheinen. Wie mit viel Geld richtig geklotzt wird, zeigt indes der Bauer Verlag. Sein Fußball-Fieber wird Programmzeitschriften des Hauses seit Dezember beigelegt, und zwar 14-täglich bzw. wöchentlich 5,7-millionenfach. Geklotzt wird auch bei auflagenstarken Tageszeitungen. Wobei die Verlage vom WM-Effekt keine »langfristigen Entwicklungen ableiten« wollen, wie eine Umfrage des Fachblatts Horizont Sport Business zeigt. Die Bild-Gruppe beispielsweise begann in Bild am Sonntag eine dreißigteilige DVD-Serie »Deutsche Triumphe, deutsche Tragödien«. Die erste DVD lag Anfang März gratis bei, die weiteren kosten 7,99 Euro pro Stück. Die Süddeutsche Zeitung gibt neben ihrer WM-Bibliothek auch noch die Titel »Fußball Unser« und »Fußball Unser - das Gästebuch« heraus. Dazu komme während der WM laut Anzeigenleiter Jürgen Maukner »eine Zeitung in der Zeitung im nordischen Format«. Die biete Anzeigenkunden »interessante Möglichkeiten wie Tabellensponsoring «. Ähnlich verfahren zahlreiche Regionalzeitungen, vor allem in den WM-Spiel- und Quartierstädten. Da gibt es Online-Specials und Kurzabo-Initiativen, Tipp-Gewinnspiele und tägliche Sonderausgaben im Tabloidformat. Pilotprojekt Sportecho Nicht unerwähnt bleiben soll ein Printprojekt, das seit Monaten durch die Szene geistert, für das der Ideengeber Dirk Makritzki (Internetdienstleister Eurostream, Berlin) allerdings bis jetzt noch keinen Verlag gefunden haben soll. Er will das Sportecho aus DDR-Zeiten als überregionale Tageszeitung wieder beleben. Ein Investor aus der Sportwettbranche stehe bereit, wird lanciert. Ob einer reicht, ist fraglich. Experten gehen davon aus, dass die ersten zwei Jahre 50 Millionen Euro kosten würden. Springer hatte unlängst täglich Sport live getestet - und es beim Test belassen.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal