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Rostfrech in Relzow

Bremer Geschäftsleute verkaufen die Reste der DDR - und die Behörden für dumm Von Rene Heilig

  • Lesedauer: 8 Min.

Freest vor einer Woche. Fischer Lange und seine Crew würden ja gern auslaufen, doch das Wetter wirkt trügerisch. So wie die Sicherheit, die bundesdeutsche Land- Luft- und Seesoldaten gegenüber der Freester Hafeneinfahrt in Peenemünde produzieren. 2000 Mann üben Touristen befreien. Wer kein Jolo hat, der phantasiert sich eines.

Doch Faulheit schadet nur. Also steigen der Fischer «un sin Söhn» in den blauen Mazda, um «die paar Kilometer nach Relzow zu fahren». Das macht er öfter, diesmal, weil er dringend noch ein paar Sachen für den fälligen Umbau der Kühlzelle auf seinem Kutter braucht. Was, das weiß er so genau nun auch wieder nicht. Aber vergebens war er noch nie dort. Zur Not kommt Lange mit einem halben Dutzend Schippenstielen, zwei Kilo Nägeln oder einer Kiste grauer Putzlappen wieder. «Spottbillig, sag ich dir... Wat man hat, dat hat man.»

Relzow ist ein Wunderland. Da gibt es alles und viel mehr. Sogar riesige grüngraue Ural-Lastkraftwagen, die nach zehn Jahren absolutem Stillstand wieder laufen, als hätte man sie erst gestern vor den langen Betonlagerhallen abgestellt. Relzow gehörte, als Deutschland doppelt existierte, der Nationalen Volksarmee. Das heißt: Offiziell gab es das Objekt gar nicht, so stinkgeheim hat man getan. Nur als einmal die Maul- und Klauenseuche grassierte, mussten die Bauern sich in dem Objekt «entgiften» lassen. Soldaten gab es wenig auf dem Areal, dafür Ausrüstungsgegenstände für eine ganze aufzustellende Division. Wahre Schätze lagerten hier für den ernstesten der Fälle. Erst bediente sich die Bundeswehr, dann verscherbelte die Material- und Servicegesellschaft, was andernorts das Kriegführen leichter macht. Den Riesen-Rest versucht nun eine private Firma an den Mann zu bringen. Also an Fischer Lange un sin Söhn.

Oder an Herrn Ewald Echterhoff. Der alte Herr ist 600 Kilometer gefahren bis er von Gütersloh zur Insel Usedom gelangte. Hier in der Gegend hat ein Freund eine Jagd gepachtet. Die Sauen seien nun zum Abschuss reif. Doch Echterhoff kramt lieber in eisernen Containern rum. «Abschleppseil - zehn Mark!» Der Preis steht auch an einer Kiste Brechstangen dran. Echterhoff kriegt sich nicht ein. Eine Spitzhacke bieten sie «für Siebenmark fuffzich» an. «Wissen Sie, was bei uns ein Spatenstiel kostet?!» Echterhoff weiß es, denn ihm gehörte ein Gartenbaubetrieb, den nun sein Sohn leitet. Reinreden will er dem Jungen nicht, soll der sehen, was er hier gebrauchen kann. Echterhoff Senior kauft also nur einen Klapphocker «für fünf Märker». Wer weiß, wie lange ihn die Sauen warten lassen.

Der junge Mann, der ihm den Hocker verkauft, kommt aus Bremen. Eigentlich wollte er eine Ausbildung als technischer Zeichner absolvieren, doch irgendwer hat ihm «die Stelle weggeschnappt». Damit er sein Leben nicht ganz vergammelt, hat ihn ein Verwandter übergangsweise nach Relzow geschleppt. Der Verwandte ist «der Boss hier von dem Laden» und «auf Presse» sei er gar nicht gut zu sprechen. Sagt der Jüngling - und hat recht.

Nicht nur, dass der Boss mit dem Reporter kein Wort reden mag, er verbietet das auch seinen Angestellten. Und schickte einen kleinen kugligen Mann als «Wachhund» aus, damit der Zeitungsmann ja nicht fotografiere. Er hört erst auf «zu bellen», als der Reporter - vorbei an einem alten NVA-Hubschrauber - aus dem «DDR-Wunderland» in die reale bundesdeutsche Welt «ausgereist» ist.

Solche Art Aufmerksamkeit findet man bei seriösen Geschäftsleuten selten. Um so mehr spornt sie Neugier an. Der Mann für Wirtschaftsangelegenheiten im Rathaus der nahen Stadt Anklam kann sie nicht befriedigen. Auch im Landratsamt weiß man offiziell von der Firma nur, dass sie die alten NVA-Lagerhallen zu Getreidesilos umfunktioniert und verpachtet hat. Und dass das «wohl lukrativ sein muss». Der Vorsteher des Bundesvermögensamtes in Neubrandenburg gibt zu Protokoll: «Wir haben das einst militärische Gelände am 1. April 1996 von der Bundeswehr übernommen und 1999 an ein Logistik Zentrum für Lagerhaltung oder so ... ver äußert.» Wer hinter der Firma steht? Herr Becker hat für den Bund einen «guten Preis» bekommen, «mehr interessiert mich nicht. So einfach ist das!»

«Nichts genaues», weiß auch Volkmar Katzmann. Er ist tagsüber Bezirksbeauftragter einer großen Versicherung und davor und danach und an den Wochenenden ehrenamtlicher Bürgermeister von Murchin. Das Dorf liegt unweit des «ir gendwie noch immer geheimnisvollen Lagers». Katzmann lacht gern, ist Optimist und glaubt - so sagt er - fest daran, dass die neuen Lagerherren demnächst ein Truckerhotel eröffnen werden. Und eine Reithalle. Und eine Diskothek. Und eigentlich sind ihm solche Investoren lieber, die «wenig Rummel» um sich machen. Aber um so mehr Umsatz auch für die Gemeinde. Und sei es nur, dass Usedom- Touristen nicht mehr nur durchfahren durch Murchin. Katzmann meint, mit dem quasi Rausschmiss des Reporters hätten sich die Investoren eine Chance vergeben, zumal, die Leute, die das hier übernommen haben, sich von jenen getrennt hätten, die... - und da beißt sich der .Bürger meister doch lieber auf die Zunge. Immer hin lässt er sich noch den Ortsnamen Friedrichsthal entlocken.

Großer Gott! Friedrichsthal steht finden größten Umweltskandal, den das Land Brandenburg erleidet.

Zu DDR-Zeiten wurden im uckermärkischen Wald bei Friedrichsthal, das liegt zwischen Schwedt und Garz direkt an der Grenze zum heutigen Naturpark, Rinder aufgezogen. Industriell, wie es damals auch dort brutale Mode war. Weil sich Fleisch nicht mehr rechnete, kamen 1990 Retter aus Bremen mit der - als Gewerbe angemeldeten und amtlich bestätigten - Zukunftsidee: Umweltgerechte Entsor gung, das bringt Jobs und Wohlstand in die vergessene Region. Fortan sammelten sie Abfälle fast jeder Art. Militärfahrzeuge

- solche wie in Relzow noch immer stehen

- parkte man auf die Wiesen. Bis zu 70 000 Autowracks hatte man auf dem Gelände zusammengeschoben. Munitions- und Gerätekisten wurden, abgekippt. Tag für Tag wuchsen die Filteraschelager bis sie letztlich eine Masse von rund 3000 Tonnen erreichten. Holzgebirge und die aus Altreifen wuchsen um die Wette. Anfangs wurde noch geschreddert, doch dieser Eifer erlahmte allzu schnell. Statt dessen hob man Gruben aus und ließ allerlei giftige Rückstände darin versickern. Weithin verstreut liegen Bleibatterien. Fässer mit Säure und Farben kleckern ih-

N

ren Inhalt ins Erdreich. Dafür hat man gutes Geld kassiert.

22 Hektar, so groß wie 25 Fußballfelder, ist das Areal. Es stinkt nach Gummi und Phenolen. Der giftgetränkte Boden glänzt fettschwarz in herbstlicher Sonne. Und obwohl man die Autos entfernt und die Reifengebirge aus Brandschutzgründen in einzelne Hügel separierte, erschrickt der Betrachter - ob solch krimineller Energie. Ab in den Knast mit den Betrügern, so empörten sich die Bürger, als im Mai ver gangenen Jahres die Staatsanwaltschaft mit Polizeiexperten aus Brandenburg, Berlin, Bremen und Mecklenburg-Vor pommern erschien. Sogar einen Tornado- Aufklärer der Bundesluftwaffe schickte man über das Gelände, um anhand der Spektralanalysen tiefer in das Erdreich und die Betrügereien zu blicken.

In den Knast kam niemand. Denn, so gab Staatsanwalt Michael Neff Bescheid: «Das sind alles deutsche Staatsbürger, Familienväter mit festem Wohnsitz, was sollen wir da machen?» Ermitteln. Und das geschieht in Frankfurt (Oder), doch wann es je zu einer Anklage gegen wen kommt, will keiner der von Akten und Gutachten umstellten Beamten prognostizieren. Neff sagt, man muss «individuelle Schuld nachweisen», also feststellen, «wer, wann, wem, welche Anweisung gab, was zu vergraben. Die wirklich Verantwortlichen haben nicht selber Müll gegraben ...» Da man gegen Personen ermittle, könne er zu Firmen nichts sagen.

Ähnliches hört man auch im Schwedter Immissionsschutz-Amt. Die Fachleute dort müssen sich noch immer gegen den Vorwurf wehren, den Umweltbetrügereien Vorschub geleistet zu haben. Die beiden Referatsleiter Karl-Heinz Weiß und Peter Drobnitzky halten derartige Ver dächtigungen für ungerecht. Sie müssen Bundesgesetzen folgen und die gestatten jedem, eine Firma zu gründen und ein Gewerbe anzumelden. «Wenn er dann noch ein entsprechendes Grundstück nachweist, kann er loslegen, Müll zu behandeln.» Was immer die jeweilige Fir men-Philosophie darunter versteht. Erst wenn die Absicht besteht, eine Anlage länger als 12 Monate zu betreiben, ver langt das Bundesimmissionsschutzgesetz eine behördliche Genehmigung. Es gab auf dem Friedrichsthaler Gelände diverse Firmen. Wenn die Behörde kam, gingen sie pleite, wurden verkauft. Das Spiel, bei dem die Genehmigungsbehörden automatisch den Schwarzen Peter zugeteilt bekamen, begann von Neuem - mit den selben Leuten auf beiden Seiten.

Und einige von der einen Seite sind nun in Relzow wieder aufgetaucht. Die Behör Die Firma, die in Relzow residiert, möchte ihren Namen nicht in der Presse lesen. Weil die Übersetzung aus dem Lateinischen «träge» oder «untätig» bedeutet? Das kann man den Herren, die in blitzenden Landrovern umherfahren, nun wirklich nicht attestieren.

Zwischen 9 und 17 Uhr verkaufen sie unter anderem: Abdeckplanen, Autoreifen, Auspuffe, Bücher, Bürsten, Deospray, Essgeschirre, Feldküchen («sind gerade aus»), Gummistiefel, Hinterachsen, Imbusschlüssel, Jacken, Kardanwellen, Lampen, Motorräder, Nägel (Rund- und Senkkopf, Kilo MDN 2,10), Ohrmuscheln samt Funkgeräten, Pumpen, Quarzoszillatoren, Ruderboote, Sägen, Tankanhänger, Unterlegscheiben, Vergaser, Wintermützen, x-beliebige Elektroschaltungen und nebst Zeltstangen zehntausend andere mehr oder weniger brauchbare DDR- Produkte.

Brandenburg brachte in diesem Sommer eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat ein, mit der die illegale Abfallbeseitigung und -lagerung er schwert werden soll. So soll die «12 Monats-Frist», in der keine abfall- oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen eingeholt werden müssen, abgeschafft werden. Diese Genehmigungsfreiheit war 1993 von der Regierung Kohl eingeführt worden und Rotgrün sah bislang noch keinen Bedarf zur Änderung. Zugleich sieht der Vorstoß Brandenburgs eine Sicher heitsleistung vor, die Abfallentsorger bei Betriebsaufnahme hinterlegen müssen, damit entstehende Probleme ohne Steuermittel beseitigt werden können. Mecklenburg-Vorpommern signalisierte Unterstützung für den Vorschlag.

Allein in Brandenburg kennen die Behörden 50 illegale Großdeponien mit 729 000 Kubikmetern Abfällen. Die Entsorgungskosten werden auf über 70 Millionen Mark geschätzt.

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