- Politik
- Zwei neue Bücher von Helmut Sakowski
«Schaffe ein großes, böses Alterswerk»
Das richtige Verständnis für die beiden neuen Bücher von Helmut Sakowski gewinnt man erst aus dem Briefwechsel zwischen ihm und Manfred Krug, der dem einen Band als Anhang beigegeben ist. Krug, als Schauspieler der Fernseh-Idyllen über die Ost-West-Problematik überdrüssig, griff die Idee des Kameramannes Jürgen Heimlich auf, eine Nachwende-Fortsetzung des seinerzeit in der DDR mit Erfolg gelaufenen «Daniel Druskat»-Films zu versuchen. Die alten Schauspieler sollten mitspielen, das Milieu sollte beibehalten werden, und Sakowski sollte das Drehbuch schreiben - so sah Krug «Chancen zur Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte». Den Autor ermunterte er- «Hau rein. Dich kann keiner mehr. Schaffe ein großes, böses Alterswerk...»
Sakowski schrieb einen dreiteiligen Film, der jedoch ohne Produzenten blieb. Begründung der Fernsehanstalten in den alten Bundesländern: «Unser Publikum möchte keine Geschichten aus dem Osten sehen.» (Treffender Kommentar zum 10. Einheits-Jubiläum!) Auch die Fassung für einen 105-Minuten-Film fand letztendlich keine Gnade. Er sei leider nicht «für Ostund Westdeutsche gleichermaßen interessant und publikumswirksam gestaltet». Eine Zensur natürlich gab es selbstverständlich nicht.
Krug, der den Braten zeitig roch, orientierte Sakowski darauf, aus den Filmdrehbüchern ein «Lese-Buch» zu machen. Dieser Text liegt nun vor. Und die langen Zeiten des Wartens auf die Entscheidungen über Annahme oder Ablehnung nutzte der Schriftsteller, um daneben den dritten Band seiner Klevenow-Trilogie zu schreiben. Das war das Beste, was er machen konnte.
Denn die Umwandlung der Filmdrehbücher bleibt doch ziemlich kompilatorisch. Den Anregungen folgend wird auf Sprache, Personal, Atmosphäre früherer Werke zurückgegriffen. So sind aus dem «Wendenburg»-Roman von 1995 beträchtliche Partien, leicht bearbeitet, übernommen worden. Die Einblendung von Original-Szenen aus dem alten «Druskat»-Film/Roman hätte den Fernsehspielen sicher gut zu Gesicht gestanden, in diesem Text aber sind sie Fremdkörper, stehen dem Prosaschriftsteller für solcherart Rückblick doch andere Ausdrucksmittel zur Verfügung. Im Titel «Ein Herzog in Wendenburg» ist die beabsichtigte größere Dimension des Konflikts angedeutet. Nicht nur die bäuerlichen Alteigentümer kehren zurück ins Mecklenbur gische, sondern nun der altangestammte Fürst und Herrscher in dieser Gegend. Der ist freilich nur ein Schatten noch seiner selbst, aber mit den Profit erspürenden Großbanken und Konzernen im Rücken und der Sympathie der neuen Administratoren gewiss. Ein touristisch attraktiver «Fürstenpark» mit Golfplatz, Yachthafen und Hotelanlagen soll entstehen, auf Kosten der um ihre Existenz kämpfenden modernen Agrar-Genossenschaft. Letztere vertreten durch die schon in dem damaligen Film agierenden Max Stephan und Daniel Druskat, deren einst heftige Kollisionen angesichts der neuen Kontrahenten allerdings auf das Niveau von Meinungsverschiedenheiten schrumpfen. Die Okkupanten (so Krug in einem seiner Briefe) bedienen sich kriminell-verbrecherischer Methoden, wobei auch die Stasi-Thematik auf nicht ganz glückliche Weise ins Spiel kommt. Die neue Adelsund Preußengloriole erhält eine satirische Abfuhr. Grimmige Ironie, aber auch zugespitzte verbale Wertungen spielen eine große Rolle. Szenen und Charaktere sind in knappen Episoden und Dialogen anschaulich und vergnüglich ausgeführt, einzelne Rollen bekannten Schauspielern auf den Leib geschrieben. Am Schluss der Handlung bricht das Chaos herein, und alle Pläne scheitern. Keine Perspektiven für Wendenburg? Nur der unerschrockene Max Stephan bleibt optimistisch: «Das Blatt wird neu gemischt ... Schätze, dass wir diesmal keine schlechten Karten haben.» Sakowskische Altersweisheit, gestützt auf die sich auch in heutiger Praxis erweisende Effektivität der Genossenschaften.
Die Aufmunterungen Manfred Krugs schlagen auch in dem zweiten Roman noch durch, in dem die Geschichte der Herren und Knechte (und mehr noch der Mägde) auf Klevenow weiter erzählt wird, nun für die Zeit vom Anfang des 20. Jahr hunderts bis hin zu 1945/46. Jahrzehnte, die das Leben der Menschen auf den mecklenburgischen Rittergütern gründlich verändern. Krieg und Revolution hinterlassen ihre Spuren, soziale Fortschritte und nationalsozialistische Demagogie beeinflussen die Existenzweise, Terror und neuerlicher Krieg führen in die Katastrophe, die zu überwinden sich am Schluss der dreibändigen Epochenchronik als Aufgabe stellt. Damit schließt sich der Kreis hin zu anderen Werken des Autors. Sakowski erzählt konsequent aus der Sicht derer, die das Leid und Elend dieser Zeit zu schultern haben. Die Fülle der Geschehnisse wird in eine gelegentlich sprunghafte straffe Handlung gebannt, die szenisch und sprachlich gut umgesetzt ist. Wesentlich getragen wird sie von dem Schicksal zweier illegitimer «Brüder»: Adelspross und Büdnersohn in Freund- Feindschaft verbunden auf der Blutspur des Jahrhunderts.
Auf anderer Ebene ebenso aussagekräftig die alltagsnahe und widerspruchsreiche Geschichte von Staf und Anna. Bei der Schilderung der Nazizeit knüpft Sakowski an die Traditionen antifaschistischer Exil- und Widerstandsliteratur an; besonders aktuell die Darstellung der differenzierten Kräfte des Protests und der Gegenaktion. Es ist Aufklärung über geschichtliche Zusammenhänge im besten Sinne, dargeboten in einsichtigen epischen Bildern, inhaltlich und formal aller dings weitab vom Mainstream.
Bei den literaturkritischen Meinungsführern dürften Sakowskis neue Prosawerke deshalb ebenso wenig Chancen haben wie seine Drehbücher bei den Fernsehproduzenten. Immerhin, sie liegen vor, die Leser können sich ihrer bedienen. Vielleicht kein großes, böses Alterswerk, aber eine entschieden kritische literarische Sicht auf unsere Zeit.
Helmut Sakowski: Ein Herzog in Wendenburg. Roman. Mit einem Briefwechsel zwischen Manfred Krug und Helmut Sakowski. Aufbau Taschenbuch Verlag Berlin. 324 Seiten, gebunden. 15,90 DM. Helmut Sakowski: Die Erben von Klevenow. Roman. Aufbau Verlag Berlin. 292 Seiten, gebunden, 34 DM.
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