Deutsche ziehen Griechen weg

Vor 100 Jahren: »Zwischenspiele« in Athen

  • Rupert Kaiser
  • Lesedauer: 3 Min.
Der große Erfolg, den die I. Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 feierten, löst bei den griechischen Olympiern den Wunsch aus, dass auch alle künftigen Spiele in Athen ausgetragen werden. Dass dieses Ansinnen vom IOC logischerweise abgeschmettert wird, führt zu einer Trotzreaktion: Die Griechen laden die Sportwelt zum 22. April 1906 kurzerhand zur Feier der zehnjährigen Wiederkehr des I. Olympias der Neuzeit ein und deklarieren die Veranstaltung als Olympische Spiele. Das IOC schäumt, verweigert sein Patronat - und straft die in die Annalen als Olympische Zwischenspiele eingegangenen Wettbewerbe noch heute mit Verachtung, so dass sie in den offiziellen Veröffentlichungen nicht einmal erwähnt werden. Dabei verleiht gerade das, was sich da zwei Wochen lang in Athen abspielt, nach den olympischen Pleiten von Paris 1900 und St. Louis 1904 der Idee Coubertins den für ihr Überleben so nötigen Adrenalinstoß. Mehr noch: Erst im Athen von 1906 beginnt sich der weltumspannende Gedanke der Olympischen Spiele durchzusetzen. Dafür sorgt vor allem die große Beteiligung, zumal besonders die Sportler, die sich zwei Jahre zuvor die Reise in die USA nicht leisten konnten, darauf brennen, sich mit den Wunderathleten aus Übersee zu messen. So werden 884 Aktive aus 20 Ländern gezählt, die bei der Eröffnungszeremonie erstmals hinter ihren Nationalflaggen ins Panathenaische Stadion einmarschieren und auch gemeinsam untergebracht sind. Ansonsten ist die Organisation die Achillesferse der Zwischenspiele. So gibt es nur für die Leichtathletik, die Lieblingssportart des griechischen Königs, der sich wie die anderen Mitglieder des Königshauses als Kampfrichter betätigt, einen Zeitplan. Die Aktiven der anderen Sportarten sitzen von morgens bis abends in den Wettkampfstätten, weil niemand weiß, welche Disziplin wann ausgetragen wird. Wie 1896 ist auch das zweite Athener Olympia vom großen Enthusiasmus der Griechen geprägt, die mit Begeisterung dem Geschehen in den 74 Wettbewerben der 13 Sportarten folgen. Zwar müssen sie herbe Niederlagen hinnehmen, so vor allem im Marathonlauf und im Diskuswerfen, können aber auch acht Siege und viele gute Plätze bejubeln. Besser schneiden nur die sensationell starken Franzosen und die Athleten aus den USA mit 15 bzw. 12 Siegen ab. Erfolgreichster Teilnehmer ist Louis Richardet. Der Schweizer Schütze profitiert vom umfangreichen Angebot schießsportlicher Disziplinen und bringt drei Gold- und eine Silbermedaille in die Heimat. Auch die Bilanz der Deutschen kann sich sehen lassen. Mit vier Gold-, sechs Silber- und fünf Bronzemedaillen sind sie erfolgreicher als in Paris und St. Louis, gewinnen im Fechten und Wasserspringen. Der am meisten beachtete Sieg gelingt den Deutschen im Tauziehen, das mit 40 000 Zuschauern zu einem echten Publikumsrenner wird. Man will die starken Seeleute aus dem Hafen von Piräus siegen sehen. Aber es kommt anders. Die brachiale Kraft der Griechen hat, wie die Chronik berichtet, gegen den Gemeinschaftsgeist der acht deutschen Leichtathleten, Turner und Schwerathleten, die sich erst auf der Überfahrt nach Athen zu einem Team zusammengefunden haben, keine Chance.
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