Speziesismus ist so verwerflich wie Rassismus
Tierrechte sind heute, was die wenigsten wissen, Gegenstand philosophischer Vorlesungen und Seminare auf Univer sitäten in der ganzen Welt. Niemand kann die Literatur zu diesem Thema in ihrer Gesamtheit mehr überblicken. Primäre Funk tion der Tierrechtsphilosophie ist aber keineswegs, neue Theorien zu schaffen, sondern vielmehr, unseren Blick für das (wieder) zu schärfen, was wir sehen und begreifen würden, wären wir nicht durch falsche Ideologien, Weltanschauungen und Religionen heillos verwirrt und irritiert worden.
Selbstverständlich haben Tiere Rechte. Tiere haben wie Menschen einen Anspruch darauf, auf eine bestimmte Weise behandelt zu werden. Die Art dieser Rechte richtet sich bei Tieren wie bei Menschen nach den Interessen der jeweils Betroffenen. Was für den einen höchst bedeutsam ist, mag für de*n anderen völlig belanglos sein. So haben und brauchen etwa Kinder aus offensichtlichen Gründen kein Recht, keinen Anspruch, auf einen Platz im Altenheim. Und Männer benötigen im Unterschied zu Frauen kein Recht auf Schwangerschaftsurlaub, weil sie nicht schwanger werden können. Ebenso wenig brauchen Hunde im Unterschied zu Menschen ein Recht auf Religionsfreiheit, weil sie keine Religion haben.
Der Zweck von Rechten ist stets der gleiche: den Rechtsträgern ein soweit als möglich angemessenes, das heißt ihren Interessen und Bedürfnissen entsprechendes, Leben zu ermöglichen.
Im deutschen Sprachraum hat sich als Bezeichnung für die Bewegung, die auch Tieren solche grundsätzlichen Rechte zugestehen will, der Name »Tierrechtsbewegung« eingebürgert. Durchaus üblich ist aber auch die Bezeichnung »Tierbefreiungsbewegung«. Damit wird Bezug genommen auf vergleichbare vorangegangene Bewegungen, etwa auf jene zur Befreiung der Sklaven oder zur Emanzipation der Frauen.
Die Tierrechtsbewegung ist in der Tat die konsequente Fortsetzung dieser Befreiungsbewegungen: So wie wir erkannt haben, dass die Hautfarbe für die Gewährung von grundlegenden Rechten belanglos ist und dass die Geschlechtszugehörigkeit hierfür belanglos ist, so erkennen heute weltweit immer mehr Menschen, dass auch die Spezieszugehörigkeit hierfür belanglos ist: Warum soll man jemanden ausbeuten und quälen dürfen, weil er zu einer anderen Spezies gehört? Rassismus, Sexismus und Speziesismus befinden sich logisch und ethisch auf der gleichen Ebene.
Während sich der traditionelle Tierschutz de facto mit der »Reformierung« oder »Humanisierung« der Ausbeutung von Tieren begnügt, fordert die Tierrechtsbewegung die Beendigung dieser Ausbeutung. Denn eine »Humanisierung« etwa der Schlachtung ist letztlich ein ebensolches Unding wie eine »Humanisierung« von Sklaverei oder Folter oder die Zulassung von »sanfter Vergewaltigung«.
Das Neue an der Tierrechtsbewegung ist vor allem ihr explizit rationaler Charakter. Alle vorangegangenen Initiativen zur Ver besserung des Loses der Tiere hatten, zumindest auch, religiöse, ideologische oder esoterische Wurzeln - mit einem verheeren-
Eine »Humanisierung« etwa der Schlachtung ist letztlich ein ebensolches Unding wie eine »Humanisierung« von Sklaverei oder Folter oder die Zulassung von »sanfter Vergewaltigung«
Tieren eigentlich keine Rechte zugestanden werden sollten. Als Antwort hierauf kommt regelmäßig der Hinweis auf bestimmte, nur dem Menschen zukommende Eigenschaften oder Fähigkeiten etwa Autonomie, Rationalität oder Selbstbewusstsein. Unleugbare, wissenschaftlich unwiderlegbare Tatsache aber ist. Kein einziges Merkmal, das vernünftigerweise irgendwie als moralisch relevant angesehen werden kann, verläuft entlang der Speziesgrenze Mensch - Tier. Mehr noch: Es gibt immer Tiere, bei denen das betreffende Merkmal sogar stärker ausgeprägt ist als bei bestimmten Menschen.
Wenn wir, um bei den obigen Merkmalen zu bleiben, an Autonomie, Rationalität und Selbstbewusstsein als Voraussetzung für die Verleihung von Rechten festhalten, dann müssen wir komatösen Menschen, vielen geistig behinderten, geisteskranken und hirngeschädigten Menschen sowie allen kleinen Kindern jedwede Rechte absprechen. Formulieren wir hingegen die Kriterien für das Zugestehen von Rechten so großzügig, dass sie auch von diesen Menschen erfüllt werden, müssen wir konsequenterweise auch vielen Tieren, die wir heute täglich millionenfach für Versuchszwecke quälen oder für Ernährungszwecke töten, Rechte verleihen, da sie diese Kriterien spielend erfüllen.
Um dem unausweichlichen Dilemma zu entkommen, dass viele Menschen, denen wir Rechte nicht absprechen wollen, in bezug auf beliebige Merkmale ein deutlich niedrigeres Niveau aufweisen als viele Tiere, wurden mehrere ar gumentative Fluchtmöglichkeiten ersonnen. Diese haben sich letztlich aber ausnahmslos als Sack gassen erwiesen. Es gibt schlicht keine rationale Rechtfertigung für die gegenwärtige Praxis, Tieren Rechte abzusprechen.
Die Frage »Tierrechte -ja oder nein?« ist deshalb auch weniger eine philosophische als vielmehr eine politische: Sind wir bereit, auch die Rechte der Schwächsten, die uns hilflos ausgeliefert sind, zu respektieren, oder wollen wir auch weiterhin gemäß dem praktischen, aber barbarischen »Recht des Stärkeren« handeln?
»Wir leben zwar«, schreibt Alexander Solschenizyn, »im Computerzeitalter, aber noch immer nach dem Grundgesetz der Steinzeit. Wer den größeren Knüppel schwingt, hat auch recht. Bloß wahrhaben wollen wir es nicht.«
den Nebeneffekt: Alle Thesen, Diskussionen und Forderungen wiesen stets einen hohen Glaubensanteil auf und waren daher entsprechend angreifbar. Vor allem aber- Lehren und Einstellungen, die mit einem bestimmten Glauben verknüpft sind, sind in ihrer Wirksamkeit von vornherein auf diejenigen beschränkt, die diesen Glauben teilen. Wer etwa, um ein Beispiel zu nennen, den Vegetarismus mit dem Glauben an die Seelenwanderung begründet, kann nur diejenigen überzeugen, die an die Seelenwanderung glauben.
Der strikt rationale Charakter der modernen Tierrechtsbewegung kommt unter andrem darin zum Ausdruck, dass sie ihre Kritiker konkret fragt, warum denn
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.