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Wenn Aussiedler als Ausländer gelten

Die deutschstämmigen Spätaussiedler treffen m der Bundesrepublik auf ein ganzes Bündel von Problemen Migration

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Dr. Axel Holz

Ist die Bundesrepublik ein Einwanderungsland? Darum dreht sich die Diskussion seit geraumer Zeit. Eingewandert wird aber bereits kräftig seit über zehn Jahren. Allerdings fast ausschließlich durch so genannte deutschstämmige Spätaussiedler.

Über zwei Millionen dieser deutschstämmigen Spätaussiedler haben die dauerhaft schrumpfende deutsche Bevölkerungszahl seit 1990 aufgebessert. Mit der erfolgten Reform des Staatsbürgerschaftsrechts für in Deutschland geborene Ausländer bleibt zu hoffen, dass nun bei künftiger Zuwanderung der nationalistische Blutsgedanke endgültig aufgegeben wird, dessen rassistischer Ansatz eigentlich der Vergangenheit angehören sollte. Dieser Grund scheint gewichtiger zu sein als die Tatsache, dass ein Großteil der Spätaussiedler mittlerweile mit deutscher Sprache und Kultur nichts mehr anfangen kann.

In der Landeshauptstadt Mecklenburg- Vorpommerns, Schwerin, leben derzeit fast 4000 Aussiedler und jüdische Migranten. Das sind mit vier Prozent Anteil an der Bevölkerung für ostdeutsche Verhältnisse recht viele, auch wenn damit der Ausländeranteil westdeutscher Städte längst nicht erreicht ist. Aussiedler unter scheiden sich in ihrer Differenz zu den kulturellen Eigenheiten der einheimischen deutschen Bevölkerung kaum von anderen Ausländern. Sie werden deshalb von der Bevölkerung auch vielfach genauso als «Ausländer» wahrgenommen, obwohl sie einen deutschen Pass besitzen.

Zum klassischen Sprachproblem kommen bei den «Spätaussiedlern» allerdings permanente Schwierigkeiten, sich mit den Gegebenheiten der westeuropäischen Kultur zu arrangieren. Es fällt Aussiedlern schwer zu unterscheiden, welche praktischen Benachteiligungen gängigen Ressentiments gegenüber Ausländern entspringen, welche aus mangelhaften Sprachkenntnissen resultieren und welche gesamtgesellschaftlicher Natur sind. So ist das Problem nichtanerkannter Berufsabschlüsse auch ein grundsätzliches Problem für viele Ostdeutsche.

Grundsätzlich bleibt die Integration von Zuwanderern aber ein Problem, das in der Verantwortung des aufnehmenden Staates liegt. Davon konnte sich auch die PDS- Landtagsfraktion Ende vergangenen Jahres bei einem ersten ausführlichen Gespräch mit Schweriner Spätaussiedlern überzeugen. Ein Grund: Die Probleme zwischen Aussiedlern und ansässiger Bevölkerung in einigen Schweriner Neubaugebieten nehmen permanent zu. Sie wer den besonders brisant, wenn sich der Anteil der Spätaussiedler in den Wohnblocks zur Mehrheit ausweitet. Neben kulturellen Konflikten mit der Bevölkerung gibt es Auseinandersetzungen mit bürokratisch agierenden Behörden sowie zwischen den Aussiedlern selbst. Letztere werden ganz wesentlich durch den unter schiedlichen Rechtsstatus der Aussiedler begünstigt. So treffen - sich als «echte» Aussiedler verstehende - Zuwanderer auf mitreisende russische Eheleute, auf Aussiedler ohne Rentenanspruch sowie jüdische Migranten ohne deutschen Pass. In diesem Problemknäuel werden Konflikte zwischen den Zuwanderern geradezu provoziert.

Die PDS-Landtagsfraktionsvorsitzende Angelika Gramkow machte bei dem Gespräch deutlich, dass viele dieser Konflikte sich nicht auf kommunaler Ebene lösen lassen, sondern mit der mangelhaften Begleitung der Zuwanderung durch den Staat zusammenhängen. Dennoch ver suchte die PDS bereits in der jüngsten Stadtvertretersitzung, der Gettoisierung von Aussiedlern entgegenzuwirken. Bisher stößt die Ansiedlung von Aussiedlern in unterschiedlichen Stadtbezirken, wenn die Betroffenen es wünschen, auf Wider stand angesichts der zu erwartenden finanziellen Mehrbelastungen der Stadt. Denn ein großer Teil der Aussiedler lebt von Sozialhilfe und die Mieten sind in den Neubaugebieten nun mal am günstigsten. Mittlerweile hat aber auch die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft WGS Handlungsbedarf erkannt.

Voraussetzung der Integration von Zuwanderern aus dem Ausland in der Stadt und am schwach entwickelten Arbeitsmarkt sind aber vor allem ausreichend anwendungsbereite Sprachkenntnisse. Nicht nur das Gespräch der PDS mit den Aussiedlern hat gezeigt, dass die entsprechenden Unterrichts-Angebote derzeit zu wenig altersspezifisch differenziert sind und für Aussiedler ab dem 55. Lebensjahr sogar überhaupt nicht mehr vorgesehen sind. Die Betreuung Tausender Schweriner Aussiedler erfolgt bisher über ein Aussiedler und Migrantenbüro durch ABM- Kräfte. Wenn die Integration von Aussiedlern zukünftig effektiver erfolgen soll, dann müssen feste Stellen zur Begleitung des Prozesses her. Denn der Verlust an Know-how durch regelmäßig auslaufende ABM-Stellen kann dauerhaft nicht durch das überaus große Engagement der Mitarbeiter des Büros kompensiert werden.

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