»Im günstigsten Fall Platz 2 bei EM«

Gespräch mit Jürgen Mallow, Leitender Bundestrainer im Deutschen Leichtathletik-Verband

  • Lesedauer: 5 Min.
Jürgen Mallow, 61 Jahre, geboren in Wustrow unweit von Wittenberge, war drei Jahre Cheftrainer beim LAC Quelle Fürth, von 1982 bis 1985 Cheftrainer der DLV-Junioren und jeweils ein Jahrzehnt Leitender Landestrainer in Berlin und Bayern, ehe er die »Großbaustelle« beim DLV übernahm.
ND: Sie übernahmen nach Olympia 2004 am Tiefpunkt der deutschen Leichtathletik das Amt als Leitender Bundestrainer. Haben Sie das inzwischen schon mal bereut?
Mallow: Nein, bisher noch nicht.

Aber die Sorgen sind geblieben?
Ich stelle mich den extremen Schwierigkeiten. Wir haben sie ja in erster Linie nicht deswegen, weil wir nicht das Athleten-Potenzial besitzen, sondern weil wir nach den Neuzuweisungen der Finanzmittel durch den Bund in unseren Ressourcen stark geschwächt sind Viele Dinge, an die wir herangehen müssen, liegen noch brach, weil uns die materiellen Möglichkeiten fehlen. Es geht dabei vordergründig gar nicht um neue Konzepte, sondern einfach um stärkere Einflussnahme auf Prozesse, die wir besser steuern könnten. Ich denke aber, dass wir im vergangenen Jahr bis hin zu den Hallen-WM 2006 zwar keine sehr guten, aber durchaus achtbare Ergebnisse abgeliefert haben.

Worauf laufen Ihre Erwartungen im EM-Jahr 2006 hinaus?
Zum einen erwarte ich, dass wir aus den EM in Göteborg erfolgreich hervorgehen, das heißt, einen vorderen Rang in der Nationenwertung belegen, im günstigsten Fall Platz zwei hinter Russland, das unschlagbar scheint. Wenn wir das erreichen wollen, dann sind dafür Medaillengewinne nötig. Mit vielen 4., 5. oder 7. Plätzen ist das nicht möglich. Allerdings will ich mich auf eine konkrete Medaillenzahl nicht festlegen. Doch wir haben das Potenzial mit Talenten und auch Lichtgestalten wie den Sprinter Tobias Unger, den Zehnkämpfer André Niklaus oder die Speerwerferin Christina Öbergföll. Es werden weitere hinzukommen, das zeichnet sich ab. Und das ist meine zweite Erwartung, nämlich einen deutlich Schritt nach vorn zu tun nach dem Neuaufbau der Nationalmannschaft mit Blick auf die Olympischen Spiele 2008 in Peking und die WM 2009 in Berlin.

Welche Namen bringen Sie dabei noch ins Spiel?
Zum Beispiel die Hürdensprinterin Kirsten Bolm, die sich 2005 in der Weltelite etablierte. Es spricht einiges dafür, dass sie sich mit ihrer Robustheit weiter durchsetzen wird. Oder die jüngeren Athleten wie die Kugelstoßerin Denise Hinrichs, die Stabhochspringerin Silke Spiegelburg und der Hürdensprinter Thomas Blaschek.

Und die Über-30-Jährigen?
Wir brauchen neben den jungen Athleten gerade die gestandenen Athleten wie Franka Dietzsch oder Steffi Nerius. Ich setze auch darauf, dass wir in der Nationalmannschaft wieder auf Nils Schumann und Ingo Schulz zurückgreifen können. Bei den älteren Athleten sind wir froh um jedes Jahr, wo sie gesund bleiben, weil sie mit ihrer Routine und Leistungsfähigkeit immer für einen guten Platz und für eine Überraschung gut sind.

Es schien aber, als würde der DLV diese Routniers ausmustern?
Da liegt ein Missverständnis vor. Das Konzept, nach dem wir mit Blick auf Peking 2008 vor allem junge Leute aufbauen wollen, wurde in der Öffentlichkeit so stark überbetont, dass der Eindruck entstehen konnte, die Alten seien abgeschrieben. Selbstverständlich wollen und werden wir mit ihnen weiterarbeiten. Wir brauchen sie.

Diskuswerferin Franka Dietzsch hat der zweite WM-Titelgewinn mit 37 Jahren so stark motiviert, dass sie weiter macht...
Genau das ist unsere Strategie. Diese Athleten bekommen die Unterstützung, die der DLV geben kann. Die Jüngeren bekommen eine anders geartete Unterstützung, die helfen soll, dass sie in der Spitze ankommen. Das ist sehr stark individuell differenziert. Aber das ist der Weg, den wir uns vorgenommen haben, weil wir mit gewaltigen Konzentrationen an einzelnen Orten das weder materiell noch logistisch schaffen werden.

Wo liegen die Stärken und Schwächen der deutschen Leichtathletik?
Paradedisziplinen sind nach wie vor die Würfe. Daneben haben wir in vielen Bereichen jetzt einzelne Spitzenathleten, manchmal auch mehrere wie im Stabhochsprung. Das trifft auch auf den Hoch-, Weit- und Dreisprung der Männer zu. Bei den Weitspringern sind es gleich drei, vier, die über acht Meter springen können. Ein bisschen Sorgen macht uns der Laufbereich der Frauen von 400 bis 10 000 Metern. Arge Schwächen bestehen in den horizontalen Sprüngen bei den Frauen, besonders im Dreisprung, sowie im Männer-Laufbereich. Dort, wo wir vom Weltniveau ganz weit weg sind, gehen wir gesonderte Wege, um völlig neu zu beginnen. Das geht mit dem momentanen Athleten-Potenzial nicht.

Ein Blick in die Zukunft: Wie stark ist das Top-Team für Peking 2008. Wird es noch ausgedehnt?
Es sind derzeit 69 Athletinnen und Athleten. Wir gehen davon aus, dass wir im Herbst eine Präzisierung vornehmen. Dann wird das Team zwar wieder neue Namen umfassen - es ist ja ein Kreis, der jährlich neu berufen wird -, aber er wird sicher etwas kleiner sein und sich in Richtung einer Kernmannschaft für die Olympischen Spiele weiter entwickelt.

Wo liegt für Sie der Knackpunkt, dass von den vielen Talenten, die sich bei der U-23-EM im vorigen Jahr in Erfurt vorgestellt haben, nur wenige oben ankommen?
Einer der Gründe ist, dass Erfolge bei den U 23 leichter zu erzielen sind, als bei den Älteren, weil die Konkurrenzsituation eines auf drei Jahrgänge beschränkten kontinentalen Wettbewerbs eine ganz andere ist, als die, die die jungen Athleten später weltweit vorfinden. Das zweite ist, dass es bei uns aufgrund von Besonderheiten im Sportfördersystem für junge Athleten schwierig ist, sich voll auf den Hochleistungssport zu konzentrieren. Sie müssen sich gleichzeitig beruflich absichern. Es ist also eine Ausgangssituation, die viel eigenes Engagement und die Unterstützung von außen erfordern. Bedauerlicherweise entscheiden sich viele Athleten zwischen 21 und 23 Jahren eher gegen den Leistungssport. Sie versuchen es leider erst gar nicht, auszuprobieren, wieweit sie sportlich wirklich kommen.

Gespräch: Jürgen Holz

Saison-Termine
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28.05. Meeting Zeulenroda
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02.06. Meeting Cottbus
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28.-29.06. Europacup Malaga
07.07. Golden League Paris
08.07. Meeting Langensalza
01.-02.07. Europacup (Mehrkampf) Arles
14.07. Golden League Rom
15.-16.07. Deutsche Meisterschaften Ulm
30.07. DLV-Meeting Nürnberg
18.08. Golden League Zürich
07.-13.08. EM Göteborg
25.08. Golden League Brüssel
01.09. Meeting Königs Wusterhausen
01.-03.09. Deutsche Meisterschaften (Mehrkampf) Wesel
03.09. Golden League Berlin
09.-10.09. World Athletics Final Stuttgart
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