Schach den Rollenmustern

Literarischer Überraschungserfolg über das königliche Spiel

  • Lesedauer: 4 Min.
Ein paar Holzfiguren verändern ihr Leben. Als Eleni, die in einem Hotel auf der griechischen Ferieninsel Naxos arbeitet, in einem Gästezimmer ein aufgebautes Schachspiel entdeckt und beim Staubwischen die Position unbeabsichtigt verändert, ist nichts mehr, wie es war. Den Aufbruch Elenis in eine neue Welt beschreibt die gebürtige Frankfurterin BERTINA HENRICHS (39), die seit 18 Jahren in Paris wohnt: Der Debüt-Roman »Die Schachspielerin« ist der literarische Überraschungserfolg des Frühjahrs. Mit der Autorin - hauptberuflich Filmemacherin - sprach RENÉ GRALLA.
ND: Die Protagonistin Ihrer Geschichte emanzipiert sich, indem sie Schach lernt. Wie kann ausgerechnet das in der öffentlichen Wahrnehmung eher sperrige Schach zum Vehikel einer weiblichen Selbstfindung werden?
HENRICHS: Eleni ist eine wenig gebildete Frau. Sie weiß nichts vom Schachspielen, als sie auf das Spiel stößt. Aber letztlich ist ihre absolute Unwissenheit in Sachen Schach auch ihre Stärke, denn im Grunde hat sie keine Vorurteile. Sie weiß nichts vom Ruf der Verschrobenheit der Meister, letztlich wird sie ja auch weder verschroben noch Meisterin. Aber sie entdeckt etwas für sich, was ihr wichtig ist, was sie gerne tut und ihr alleine gehört. Man könnte sagen, es wird zu ihrem Schicksal. Und damit verändert sie auch das Schicksal ihrer Gemeinschaft, ohne das jemals wirklich angestrebt zu haben.

Warum haben Sie das vergrübelte Schach zum Leitmotiv Ihrer Erzählung erhoben? Wäre nicht Poker viel plausibler gewesen, um die Transformation einer schüchternen und gedrückten Frau zur coolen Kämpferin zu beschreiben?!
Am Anfang interessiert sich Eleni für Schach, um mit ihrem Mann zu spielen, so wie sie das bei dem französischen Paar beobachtet hat, in dessen Hotelzimmer sie das Spiel fand. Es geht also auch um den Traum einer anderen Form von Partnerschaft; denn Schach spielt man ebenso mit- wie auch gegeneinander. Eine gemeinsame Leidenschaft verbindet. Außerdem hält sie es für ein elegantes Spiel, was man von Poker nicht in dieser Form behaupten kann. Auch spielt man Poker schlecht zu zweit. Was sie später am Schachspiel fasziniert, ist die Tatsache, dass es festgefahrene Ideen über den Haufen wirft. Es verwundert sie, dass die einzige weibliche Schachfigur, die Dame, die mächtigste Figur ist und der König das schwächste Glied - um den sich jedoch alles dreht.

Spielen Sie selber Schach?
Ja, aber leider ziemlich schlecht.

Schachspieler sind penibel und ständig auf der Suche, um angeblichen Laien Fehler nachzuweisen. Haben Sie keine Angst vor der Beckmesserei der Oberschlauen?
Nein, ich habe ja keinen Roman über Schach geschrieben. Mir hat noch kein ernsthafter Schachspieler vorgeworfen, ich hätte völligen Unsinn geschrieben. Ich bin aber für jede Kritik sehr empfänglich. Die Hauptfigur ist Zimmermädchen, ich bin es nicht. Die Geschichte spielt in Griechenland, wo ich nicht lebe. Man muss nicht unbedingt Spezialist auf einem Gebiet sein, um darüber schreiben zu können. Sonst könnte man nur über wenige Dinge schreiben.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich prozentual nur vergleichsweise wenige Frauen ernsthaft mit Schach beschäftigen?
Ich glaube, dafür gibt es verschiedene Gründe. Erstens hat Schachspielen entfernt schon etwas mit mathematischem Denken zu tun, was vielen Frauen offenbar nicht so liegt oder ihnen manchmal sogar Angst macht. Zweitens spielen Vorurteile eine Rolle. Drittens sind die meisten Frauen stark in Beruf und Kinderbetreuung eingebunden und haben wenig Zeit zum Spielen; zumindest glauben sie das. Viertens ist es schon eine sehr symbolische und abstrakte Form des Kriegsspiels, was Frauen weniger interessiert, da sie wohl etwas weniger aggressiv sind.

Selbst die besten Spielerinnen haben kaum Chancen gegen männliche Großmeister. Warum?
Das ist vielleicht auch eine Nervenfrage, bei der die Tatsache, dass Frauen stark in der Minderheit sind - also zusätzlich etwas beweisen müssen -, auch eine Rolle spielt.

Eine Spitzenspielerin hat den Unterschied zwischen Frauen und Männern im Schach so erklärt: Mädchen seien weniger fanatisch und verbissen als Jungen und würden deswegen der sportlichen Karriere nicht alles unterordnen.
Sie wird es besser wissen als ich. Aber andererseits haben Spitzensportlerinnen jeder Art ja auch ein durchaus trainingsintensives Leben, dem sie sehr viel unterordnen müssen. Trotzdem machen sie es. Vielleicht fehlt es Frauen einfach an Testosteron, was sie weniger kämpferisch macht. Aber dafür bin ich nun wirklich keine Spezialistin.

Oder ist es gar ein Zeichen für die größere Klugheit der Frauen?
Fanatismus ist immer ein Problem, aber Durchhaltevermögen, Ausdauer und konsequentes Verhalten sind es nicht.

Ist das mangelnde Interesse bei Frauen für Schach nicht auch deswegen schade, weil nachgewiesen ist, dass Kinder, die Schach früh lernen, später Mathematik und Naturwissenschaften leichter und besser lernen?
Ja. Was Schach fördern kann, ist Konzentrationsvermögen und Nervenstärke. Auch hilft es sicher, Aggressionen zu kanalisieren, Strategien zu entwickeln und verlieren zu lernen. Wenn es verfestigte Geschlechterrollen aufzubrechen hilft, ist es noch besser. Ich muss allerdings gestehen, dass ich dachte, wir wären schon viel weiter in der Frage der Gleichberechtigung. Ich bin sehr erstaunt über die im Augenblick in Deutschland gerade wieder aufflackernde Diskussion. Es scheint da noch viel Verwirrung und Missverständnisse zu geben.

Weltmeister Topalow aus Bulgarien ist der neue Medienstar im Schach. Hätten Sie Lust, mal eine Partie gegen ihn zu spielen?
Ich fürchte, er würde sich bestimmt schrecklich langweilen.

»Die Schachspielerin«, Verlag Hoffmann und Campe, 142 Seiten, 15,95 Euro.
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