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  • Politik
  • Wacholder sagte Tschüß. Eine Folk-Band und was danach kommt

«Eine Art Freischwimmen»

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Christine Wagner

In den 70ern griff das Folkfieber von der Bundesrepublik auf die DDR über. Gruppen wie Folkländer, Liede(h)rlich und Brummtopf oder Individualisten wie Stephan Krawczyk entwickelten schnell ihren eigenen Stil. Die einen fanden einfach nur Spaß an den lebendigen Gesellen- Handwerker Trink und Kriegsliedern vergangener Jahrhunderte. Oder spielten zum Folktanz auf. Die anderen folgten einem politisch-künstlerischen Anspruch. Wacholder aus Cottbus gehörte zu jenen Meistern. Fast als einzige aus der Szene überlebte die Gruppe Ende der 80er Jahre die abgeebbte Folkwelle. Nach 23 Jahren aber sagt sie ihrem Publikum ade. «Eigentlich wollten wir uns Pollution nennen. Aber dann sollte es ein deutscher Name sein, weil wir Deutsch-Folk spielen wollten», erinnert sich Scarlett Seebold, die die letzten Jahre zusammen mit Matthias «Kieß» Kießling und Jörg «Ko» Kokott auf der Bühne stand. «Aus Wacholder wird Schnaps gemacht. Und außerdem ist er ein harntreibender Nacktsamer. Gute Gründe, uns Wacholder zu nennen.» Spaß am Provozieren hatten sie von Anfang an. Die historischen Texte nutzten sie als Transportmittel für Kritik in und an der gemeint war. Denen die Zunge rauszustrecken und Bäh! zu rufen, machte unheimlichen Spaß«, freut sich die zierliche Scarlett noch heute diebisch. Wacholder war immer auch eine politische Band. Die Musiker äußerten sich erst über die alten Folk Texte und später über eigene Lieder in Programmen zu Dichtern der Neuzeit wie Heine, Tucholsky, Mühsam, Brecht und 1848. Wenzel und Mensching unter stützten sie dabei. Die lernten sie 1983 bei der Arbeit an der »Hammer-Rehwü« kennen. Und mit ihnen die strengen Kultur funktionäre des Rates des Bezirkes Cottbus. Die verboten das Programm. Wegen »Aufruf zum bewaffneten Aufstand gegen die Staatsgewalt«. »Nur weil wir als maskierte Realisten und Spaßmacher einer verkehrten Welt sarkastisch den Spiegel vorhielten. Doch die harten Tatsachen wurden wie immer verdrängt - und wir waren die Bösen, Staatsfeinde sozusagen. Die Generaldirektion für Unterhaltungskunst allerdings hatte das Programm nicht nur genehmigt, sondern gefördert.« Kulturfunktionäre in höheren Rängen überreichten ein halbes Jahr später den Kunstpreis der FDJ Schizophrenie ä la DDR.

Hatten die Cottbuser je die Idee, sich der Musik der Sorben zuzuwenden? »Von uns stammt keiner aus der Lausitz«, sagt Scarlett. »Kieß kam aus dem Erzgebirge, der Ex Thomaner Ko aus der Ecke um Leipzig und Dresden, Almut aus dem Vogtland, unser Geiger aus Luckenwalde, und mein Zuhause war Buckow. Wir hätten uns nie eine Tracht übergezogen. Das wäre sehr komisch gewesen ...« Die Wacholder-Musiker hatten ihre Wurzeln in der irisch-schottischen Folkbewegung. Sie wollten sich bewusst abgrenzen von dem, was in der DDR üblicherweise als Volksmusik und Trachtenverein gehandelt wurde. Also von diesen Schlagern, denen ein Volkskostüm übergestülpt wird. »Ich war immer ein bisschen traurig, dass wir nicht so eine Tradition wie die Bayern hatten. Die können mit ihrem Handwerk und Dialekt umgehen und Sachen transportieren, die auch wir weitergeben wollten. Die können ihre Tradition auch veralbern, so wie das Biermöslblasn macht.«

Wacholder ist für Scarlett Seebold, die nun solo als Scarlett 0› durch die Lande reist, schon längst ein abgeschlossenes Kapitel. »Wichtig war für mich vor zwei Jahren, das eigene Soloprogramm >Zum Beispiel Nilpferde< auf die Bühne zu bringen. Ich wollte herausfinden, ob ich fähig bin, anderthalb Stunden als Frontfrau durchzustehen.« Die kommende Zeit betrachtet die burschikose Lady als eine Art Freischwimmen. »Früher wählte ich Lieder danach aus, ob sie zu der Folkband Wacholder passen. Heute interessiert mich, ob sie zu mir passen.« Sie liest ab und an »In Hamburg lebten zwei Ameisen« Texte von Heine, Tucholsky, Ringelnatz & Co. Ist bei der Revue über den Schlagerkomponisten der 20er und 30er Jahre Werner Richard Heymann dabei. Und spielt bei dem russisch-deutschen Musikerprojekt » round the bend« mit, unter anderem mit Kieß. Ko begleitet sie bei den »Nilpferden«. »Wir werden also noch zusammen arbeiten - aber nicht als Wacholder.«

Kieß übrigens organisiert das Folkfestival in Cottbus, produziert sorbische Musik für den Rundfunk und spielt auch bei »Swingko-Winko« mit. Ko dagegen liebt Solo- und Kinderprogramme, seinen Lene-Voigt-Abend - und seit April seine neue Gruppe Bottel-Folk-Band.

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