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Courage wird belohnt

Friedrichsgymnasium Frankfurt (Oder) wurde «Schule ohne Rassismus»

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Marina Mai

Solange wir nichts tun, zeigen wir uns einverstanden mit dem, was getan wird. So-heißt einer von fast zwanzig Plakatsprüchen, die im Foyer des Fnedrichsgymnasiums in Frankfurt (Oder) an einer Litfaßsäule Marke Eigenbau prangen. Unterschrieben sind die Plakate mit «Die Schweißwarzen».

Die Schweißwarzen nennt sich eine Projektgruppe aus Schülern des Gymnasiums, die Diskussionen unter ihren Mitschülern zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit und für mehr Toleranz anstoßen wollen. «Die Schweißwar zen» ist ein Wortspiel aus den Farben Schwarz und Weiß, «die häufig mit den Hautfarben in Verbindung gebracht wer den und deshalb eng mit dem Rassismusbegriff in Kontakt stehen», erläutert der Abiturient Martin Steinmetz.

Die Gruppe entstand Ende 1997 nachdem die Mitschülerin Anita zufällig Infor mationsmaterial des europaweiten Projektes «Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage» bekommen hatte. Die Gruppe wollte auch für ihre Schule diesen Namen holen. Vor eineinhalb Jahren wurde das Friedrichsgymnasium «Schule ohne Rassismus».

Im Schulkeller, wo die «Schweißwar zen» einen eigenen Raum haben, werden gerade Fördergelder beantragt. Nadine sammelt Rechnungen für den Antrag. Wie 1998 wollen sie einen «Magic Walk» in der Schulaula veranstalten. Schülerinnen und Schüler schlüpfen per Kopfhörer für eine halbe Stunde in die Rolle eines so genannten türkischen Gastarbeiters. Mit umgebundenem Kopftuch oder angeklebtem Schnurrbart werden sie über Kopfhörer mit ausländerfeindlichen Vor urteilen wie «Ausländer stinken und leben auf Kosten der deutschen Steuerzahler» konfrontiert, müssen ihre Aufenthaltser laubnis verlängern und geraten in eine Gruppe von Neonazis.

Das Magic-Walk Spiel wurde 1993 in München entwickelt und steht seitdem bundesweit zur Ausleihe zur Verfügung. Solche Projekte kommen bei den Mitschülern an, meint die stellvertretende Schulleiterin Kerstin Paust-Loch. «Die Schweißwarzen sind keine Exoten, sondern werden geachtet.»

Beim Beantragen von Fördergeldern sind die elf regelmäßigen Mitstreiter schon routiniert. «Im Dezember haben wir organisiert, dass Schüler unserer Schule mit Kindern aus dem Asylbewer berheim Weihnachtsgeschenke basteln und den Weihnachtsmarkt besuchen», er zählt Nadine. Und als wäre dies das Selbstverständlichste, fügt sie hinzu, dass der Frankfurter Kulturdezernent Martin Patzelt (CDU) dafür die Kosten getragen hatte. Aus seiner eigenen Tasche.

«Die Schweißwarzen» können solche Projekte vorbereiten, Plakate und Pressetexte aus der «Märkischen Oderzeitung» und dem «Neuen Deutschland» zu rassistischen Übergriffen in der Schule aushängen und dürfen jedes Jahr in den 7 Klassen eine antirassistische Unter richtsstunde abhalten, weil ihnen ein aufgeschlossenes Lehrerkollegium wohlgesonnen ist. Dies ist durchaus nicht selbstverständlich. Die Schüler haben einen eigenen «lehrerfreien» Raum für Treffs im Keller erhalten und dürfen ihre Litfaßsäule im Schulfoyer aufstellen. Auf die Frage, ob die Lehrer ihrem Engagement keine Grenzen setzen, zuckt Martin Steinmetz nur die Schultern. «Die helfen uns sogar.»

Zu den Unterrichtsstunden in den 7 Klassen würden die Lehrerinnen die Tafelbilder entwickeln. Die stellvertretende Schulleiterin lobt die Projektgruppe. «Es ist doch besser, da kommt mal ein Denkanstoß von Mitschülern als von uns alten Damen und Herren.» Und ganz nebenbei lernen «Die Schweißwarzen» neben dem Abi, wie man selbstverwaltete Projekte anschiebt, Öffentlichkeitsarbeit macht und Fördermittel beantragt. Andere Menschen müssten dazu Kurse beim Arbeitsamt belegen. «Ein pädagogisches Konzept steckt allerdings nicht dahinter», gesteht die stellvertretende Schulleiterin Paust-Loch. «Wir lassen die einfach machen und helfen nur, wenn wir wirklich darum gebeten werden.»

Hilfe und Anregungen erhalten die Schülerinnen und Schüler auch von den bundesweiten Treffen der «Schulen ohne Rassismus». Im Februar in Bremen hat dieses Projekt nicht nur die Buber-Rosenzweig-Medaille der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit bekommen. Die Schüler haben das Treffen genutzt, um sich darüber auszutauschen, wie man reagiert, wenn Mitschüler in Bomberjacken zur Schule kommen. Solche Schüler gibt es auch am Friedrichsgymnasium.

Die Idee für das Projekt «Schule ohne Rassismus» stammt ursprünglich aus Belgien. Seit 1995 wird der Titel auch in Deutschland verliehen. Die meisten der inzwischen 47 Projektschulen befinden sich in Nordrhein-Westfalen. In den ostdeutschen Bundesländern gehören neben dem Frankfurter Gymnasium zwei Thüringer Gymnasien, eine Brandenburger Gesamtschule, eine Grund- sowie Mittelschule in Sachsen dazu.

Die Voraussetzung für den Titel sind vielfältig: Nachdem das Projekt in der Schule ausführlich diskutiert wurde, müssen sich mindestens 70 Prozent der Schüler, Lehrer und der sonstigen Schulmitar beiter per Unterschrift verpflichten, gegen «jegliche Form von Diskriminierung, insbesondere gegen Rassismus» vorzugehen und dieses Anliegen zu einer zentralen Aufgabe der Schule zu machen. «Wir haben bei 72 Prozent aufgehört, die Stimmen zu zählen», verrät Schülersprecherin Jana Krug.

Welche Projekte vor Ort angegangen werden, ist Sache der Schüler. «Wir geben nichts Fertiges vor», sagt Sanem Kleff, die das Projekt der «Aktion Courage» bundesweit leitet. So hätten Grundschüler verwitterte Inschriften auf jüdischen Friedhöfen restauriert oder Realschüler sich mit der Benachteiligung Behinderter und Homosexueller befasst. Rassismus gebe es natürlich auch in den «Schulen ohne Rassismus». Aber es gibt auch eine Schulöffentlichkeit, die sich damit auseinandersetzt.

«Leider sind der Werbung für unser Projekt Grenzen gesetzt, weil wir absolut ehrenamtlich arbeiten», bedauert Sanem Kleff. Seitdem 1997 die Finanzierung durch die Europäische Union ausgelaufen ist, leitet die türkischstämmige Berliner Pädagogin ehrenamtlich die Arbeit der 47 Projektschulen. Möglich ist das, weil ihr Arbeitgeber, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, das Projekt unterstützt. Um an mehr Schulen heranzukommen, braucht das Projekt hauptamtliche Stellen. «Wenn es Schüler gibt, die sich antirassistisch betätigen wollen, wäre es doch schade, dieses Potenzial nicht zu nutzen», sagt Kleff.

Das Magic-Walk Spiel ist zu bestellen bei: Jugendtreff Haidhausen, Metzgerstraße 5, 81667München. Tel.. (089) 48 84 10 Aktion Courage e. V, Hohenfriedbergstr. 10a, 10829 Berlin, Tel.. (030) 78 95 39 72, E-Mail: Schule@aktioncouraqe.org.

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