6800 Unternehmer in Sachsen-Anhalt suchen als Altersgründen bald Nachfolger. Werden sie nicht fündig, sind viele Stellen bedroht. Ein Modellprojekt soll helfen, Übergänge zu regeln.
Der legendäre Glühwein von Libehna wird weiter fließen. Den Fruchtsafthersteller aus Raguhn in Sachsen-Anhalt wird es weiter geben, obwohl die bisherigen Geschäftsführer Eva Geidel und Klaus Giers im Alter von 68 und 79 Jahren in den Ruhestand gehen. Sie hatten den Betrieb, der 129 Jahre alt ist, 1990 in die Marktwirtschaft geführt. Jetzt sollen beider Söhne die Leitung übernehmen.
So glatt läuft nicht jede Betriebsübergabe. In der Bundesrepublik gehen in den kommenden Jahren rund 70 000 Unternehmenschefs in den Ruhestand, und in vielen Fällen ist die Nachfolge nicht geklärt. In Sachsen-Anhalt brauchen 6800 Betriebe einen Erben. Misslingt das, sind tausende Arbeitsplätze bedroht, sagt Reiner Haseloff (CDU), Wirtschaftsminister des Landes, das sich seit einem Jahr mit einem Modellprojekt verstärkt um die Nachfolge in Unternehmen kümmert.
Das Problem ist akut. Viele heutige Geschäftsführer hätten wie Libehna-Chefin Eva Geidel vor 1990 in der Leitung von DDR-Betrieben gearbeitet und dann im Alter von 40 bis 50 Jahren einen Neuanfang gewagt, um die Unternehmen zu erhalten. Jetzt, so Haseloff, erreichen sie das Rentenalter. In den kommenden fünf Jahren, warnt der Minister, »kommt uns die komplette Unternehmergeneration der Wende abhanden«.
In einigen Branchen sorgt das für Probleme: Während Handwerksbetriebe traditionell in der Familie fortgeführt werden, gibt es diese Möglichkeit in Metallbetrieben, die von Ingenieuren aus DDR-Kombinaten ausgegründet wurden, nur selten. Betriebsübergaben an völlig Außenstehende sind bisher jedoch eine Ausnahme, sagt Hans-Joachim Clobes von der Beratungsfirma RKW, die das Projekt im Norden Sachsen-Anhalts betreut. 60 Prozent der Nachfolger kommen aus der Familie, 40 Prozent aus der Firma. Auch hier sei aber intensive steuerliche und juristische Beratung notwendig.
Ganz gleich, woher der Nachfolger kommt: Gesucht werden muss er langfristig. Gelungene Firmenübergänge dauerten vier bis fünf Jahre, sagt Eva Geidel, deren Sohn schon 1992 bei Libehna einstieg und zuletzt als Prokurist arbeitete. Sie und ihr Kompagnon hätten Entscheidungen frühzeitig »mit den Kindern getroffen«, sagt die Ex-Geschäftsführerin, die den Söhnen jetzt die Fortführung des Betriebs zutraut: »Es ist Zeit loszulassen.« Zuvor hätten freilich viele Schwierigkeiten gelöst werden müssen - nicht zuletzt bei ihrer Altersversorgung. Während Unternehmer im Westen langfristig dafür hätten sorgen können, stünden ostdeutsche Nachwende-Gründer vor Problemen, bestätigt Haseloff. Für ihre Rente müsse nicht selten auf das ohnehin geringe Eigenkapital zugegriffen werden, was Banken ungern sähen, weil Finanzierungskonzepte in Frage gestellt würden. Hier bestehe Gesprächsbedarf, sagt der Minister.
Aus Landessicht sind die Aktivitäten, in die bisher 400 000 Euro investiert wurden, nicht hoch genug zu schätzen. Die Zahl der Arbeitsplätze, die bei der Übergabe von Betrieben auf dem Spiel stehen, sei jedes Jahr ebenso hoch wie die der Stellen, die mit Milliardenförderung neu geschaffen werden, sagt Haseloff. Auch sei es leichter, in bestehenden Unternehmen weitere Stellen zu schaffen, als Firmen neu am Markt zu etablieren. Das Land solle sich daher verstärkt der »Bestandspflege« widmen. Die Förderung von Existenzgründungen sei daneben eher »das Sahnehäubchen«.
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