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Aborigines: Krank durch Diskriminierung

| Australien] Gesundheitsbedarf der Ureinwohner unbefriedigt Von Michael Lenz, Sydney

  • Lesedauer: 4 Min.

«Die gesundheitliche Benachteiligung der australischen Ureinwohner beginnt in der frühen Lebensphase und hält die gesamte Lebensdauer an.» So erschreckend klar und nüchtern beschreibt das Australische Büro für Statistik die Lage der australischen Aborigmes.

In der Welt der modernen High-Tech- Medizin sterben bei der Geburt doppelt so viele Aborigines-Babys wie Neugeborene der nichteingeborenen Bevölkerung. Bei drei von vier Toten der Aborigines wurden Herzkrankheiten, körperliche Verletzungen, Atemwegserkrankungen, Krebs oder Diabetes als Ursache festgestellt. Die Lebenserwartung indigener Männer liegt bei 59 Jahren. Aboriginesfrauen werden nur 61 Jahre alt. Insgesamt liegt die Lebenserwartung der Australier wesentlich höher. Männer werden statistisch gesehen 75,2 und Frauen 81,1 Jahre alt.

«Um die Ursachen der katastrophalen gesundheitlichen Situation meiner Leute zu verstehen, muss man die Geschichte der Kolonialisierung Australiens kennen», sagt Chris Laurence, Mitarbeiter des Aboriginal Medical Service Centers in Redfern, dem Stadtteil Sydneys mit dem höchsten Anteil an Ureinwohnern. Sein Volk sei von den weißen «Besetzern» systematisch unterdrückt und entrechtet worden. «Wir Ureinwohner haben erst 1967 die australische Staatsbürgerschaft erhalten», erzählt der 34-Jährige bitter. Zuvor sei es jahrzehntelang Politik gewesen, Kultur, Religion und Sprache der Aborigines auszurotten.

«Vorbild für die Apartheidpolitik Südafrikas waren die Rassengesetze des australischen Bundesstaates Queensland», weiß der studierte Politologe. Grausamste Ausprägung des australischen Rassismus sei die «Stolen Generation», die gestohlene Generation. «Man hat über Jahrzehnte hinweg den Ureinwohnern die Kinder weggenommen, um sie in Heimen und Missionsschulen zu >Weißen< zu erziehen.» Die gefeierte Opernsängerin Deborah Cheetham ist davon überzeugt, dass «so etwas in abgelegenen Teilen Australiens noch heute passiert». Die heute 32 Jährige wurde nach ihrer Geburt ohne Zustimmung ihrer Mutter von der Entbindungsstation zur Adoption freigegeben.

«Diese Geschichte hat dazu geführt, dass Aborigines kaum über Selbstwertgefühl verfügen. Wer nichts anderes als Ablehnung und Ausgrenzung erfährt, gibt irgendwann auf», beschreibt Dr. John Dunill vom AMS die Situation. Depressionen, Flucht in Alkohol und Drogen seien die Folge. Auch das australische Gesundheitsministerium in Canberra räumt ein, dass sozio-ökonomische Faktoren wie hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnund Umweltbedingungen sowie kaum überwindbare Entfernungen zum nächsten Arzt für die Bewohner des «Outback» - so nennt man die abgelegenen Gebiete, in denen die Ureinwohner leben - Ursachen für deren schlechte Gesundheitssituation sind. Diese seien das «Erbe der Vergangenheit», heißt es in einem Bericht des Ministeriums.

Für Chris Laurence ist das «Erbe» noch sehr lebendig. «Aborigines werden mit ihren speziellen Bedürfnissen auch heute nicht wahrgenommen.» So seien erst 1997 in der australischen AIDS-Statistik die HIV- und AIDS-Fälle unter der eingeborenen Bevölkerung aufgenommen wor den, sagt der Gesundheitsexperte.

Ansätze, die gesundheitliche Situation der Ureinwohner zu verbessern, gibt es viele. Allerdings würden die finanziellen Mittel nicht ausreichen, klagt Marion Hanson, Vorstandsmitglied der Aboriginal and Torres Islander Commission (ATSIC), der politischen Interessenvertretung der Aborigines. «Um eine wirkliche gesundheitliche Chancengleichheit zwischen eingeborenen und den anderen Australiern zu erreichen, bedarf es aber eines langen Atems und erhöhter Mittel», betont die Angehörige des Volkes der Gamilaroi. Zu den über 800 Millionen Dollar, die jährlich von den australischen Staaten und der Regierung in Canberra ausgegeben wür den, müssten mindestens weitere 125 Millionen hinzu kommen. «ATSIC fordert einen ganzheitlichen Zugang zu dem Problem», so Hanson. Dazu gehörten die Verbesserung der Trinkwasserversor gung, der Ausbau der Kanalisation und die Müllbeseitigung in den ländlichen Gebieten ebenso wie der Zugang zu Ausbildung sowie Aufklärungs- und Vorbeugungsmaßnahmen.

Es mangelt jedoch auch an medizinischem Personal aus den Reihen der Ur einwohner. 1998 gab es in Australien gerade mal 41 Aborigines-Ärzte und immerhin 60 Aborigines als Studenten an den medizinischen Fakultäten des Landes. Vor allem aber werde zu wenig Geld in von Aborigines-Gemeinschaften selbstverwaltete Gesundheitszentren investiert, betont Hanson. Studien zeigten, dass Aborigines sich scheuen, die Dienstleistungen des öffentlichen Gesundheitssystems in Anspruch zu nehmen. «Dazu sind die Er fahrungen der Vergangenheit noch zu lebendig», so Laurence. Diskriminierung, Zugangsverweigerung zu Gesundheitsversorgung und der Diebstahl von Neugeborenen würden mit dem Gesundheitssystem in Verbindung gebracht. «Unsere Leute vertrauen am ehesten Ärzten und solchen Mitarbeitern, die den gleichen kulturellen Hintergrund haben wie sie selbst», betont Laurence und fügt hinzu: «Zentren wie das unsere haben weit über die Diagnose und Behandlung von Krank heiten eine Bedeutung», so Chris Laurence. «Sie sind auch sozialer Treffpunkt.»

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