Werbung

Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Nachruf auf Heinz Kamnitzer

Heimsuchung und Testament

  • Fritz Rudolf Fries
  • Lesedauer: 3 Min.

Das letzte Telefongespräch vor Monaten galt seiner wiederholten Beschäftigung mit Arnold Zweig. Heinz Kamnitzer, um 1936 Hilfsarbeiter und Tischlerlehrling in Palästina, Emigrant wie der namhafte deutsche Schriftsteller, lernte von dem Älteren den genauen Umgang mit dem Wort. Am 10. Mai 1917 in einer Berliner jüdischen Familie geboren, verband er die Schlagfertigkeit der Kinder dieser Stadt mit der sprichwörtlichen Gelassenheit der Untertanen Ihrer britischen Majestät.

London hatte den jungen Mann aufgenommen, der auf der Flucht vor Hitlers Schergen war. In London besuchte er das Polytechnikum - und wurde mit den anderen Emigranten aus Deutschtand in ein Internierungslager nach Kanada ver bracht. Die Historie wurde sein Spezialgebiet, da ist es nicht erstaunlich, dass er in einem Jahrhundert geschichtlicher Umwälzungen wissen wollte, wer am Rad der Geschichte dreht. Nicht ohne Stolz ver wies er auf sein Geburtsjahr 1917 und wen wundert›S, wenn er die Sache genauer wissen wollte. Er hatte in Berlin die Marxistische Arbeiterschule (MASCH) besucht, und heimgekehrt in die DDR promovierte er 1950 mit einer Arbeit zur «Gesellschaftlichen Struktur Deutschlands zur Zeit der Revolution 1848».

Sein Herz, das unbeirrbar links schlug, kam aus dem Takt bei zu viel Ökonomie und Historie. Denn Heinz Kamnitzer war ein Schriftsteller, ein Dichter und ein Essayist. Seine Arbeiten über Lion Feuchtwanger, Thomas und Heinrich Mann, seine Filmszenarien nach Vorlagen der Romane Arnold Zweigs zeigen den leidenschaftlichen, den Künsten zugetanen und doch scheuen Autor. Chopin, glaube ich, war sein Lieblingskomponist. Wie hätte er da nicht, in zwanzig Jahren immer wieder gewählt, als Nachfolger Arnold Zweigs 1970 der Präsident des PEN-Zentrums in der DDR werden sollen.

Von da an beginnen meine Erinnerungen an Heinz Kamnitzer. Es sind gute Er innerungen an einen Mann, der seine politische Pädagogik mit angelsächsischem Humor würzte, an der Seite von Stephan Hermlin, Paul Wiens, Walter Kaufmann. Wer von uns Jüngeren, auch wenn wir dem Präsidenten nicht immer konform

gingen, konnte sich mit seinen Erfahrungen messen. Die Aufgaben im PEN wur den von ihm getreu der Charta wahrgenommen. Als die Grenzen fließend wur den, erkannte er in der Euphorie der Demonstranten ihre Blindheit vor der Zu1- kunft. Eine schwierige Situation, auch für die Mitglieder des PEN, die einen «Umbau des Staates und weiterer Bereiche der Gesellschaft» forderten und seinen Rücktritt 1989 nicht verhinderten.

«Heimsuchung und Testament» hieß jene Arbeit über Arnold Zweig aus dem Jahr 1983, die Kamnitzer in diesem Jahr fortgeführt und ergänzt hat. Sie ist zu seinem eigenen Testament geworden. Heinz Kamnitzer war konservativ, und auch das in einem angelsächsischen Sinn, das einmal als richtig Erkannte nicht über Bord zu werfen.

In den letzten Jahren der Zurückgezogenheit nach dem Tod seiner Frau kam der Dichter Kamnitzer zu Wort. Er schrieb und veröffentlichte Gedichte auf den Tag und für den Tag, Kommentare zum alltäglichen Faschismus, zum trügerischen Schein der neuen Zeiten. Vieles erinnert an die politische Lyrik seines Londoner Nachbarn Erich Fried.

Heinz Kamnitzers Engagement nutzte das Herz ab. In seinem 84. Jahr ist er in Berlin gestorben. Die Trauer gilt einem Freund.

Wie ND erst am Mittwoch erfuhr, ist Heinz Kamnitzer bereits am 21. Mai verstorben. In seinem Testament hatte er verfügt, dass seine Beisetzung in aller Stille erfolgen sollte. Als sein letztes Buch erschien im GNN Verlag Schkeuditz: «Ein Mann sucht seinen Weg. Über Arnold Zweig» (148 Seiten, Broschur, 18,00 DM).

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -