Mit »NGG-Schwung« aus Berlin

Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten legt Politik der nächsten Jahre fest

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach vier Tagen endete am Donnerstag der NGG-Gewerkschaftstag. Alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze standen oben auf der Agenda, die Mindestlohnhöhe wurde hitzig debattiert.

Der Gewerkschaftstag ist zu Ende. 163 Anträge wurden von eben so vielen Delegierten beschlossen, ein neuer Vorstand ist gewählt, die Weichen für die Politik der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sind für die nächsten fünf Jahre gestellt.

Die Hausaufgaben, die sich die NGG aufgegeben hat, gelten auch für die Bundespolitik. Bei den Themen Mindestlohn, Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und Minijobreformen muss eine künftige Bundesregierung aktiv werden. »Bleibt stark«, rief denn auch die am Dienstag neu gewählte Bundesvorsitzende, Michaela Rosenberger, nach Leipzig, wo sich die SPD zum Parteitag trifft.

Die NGG ist die zweitkleinste der DGB-Gewerkschaften, aber eine der lautesten. Zuletzt waren es die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen von rumänischen und bulgarischen Werkvertragnehmern in der Fleischwirtschaft, die immer wieder Schlagzeilen machten.

Ende und Anfang

Für die NGG sei der Gewerkschaftstag ein »Aufbruch«, sagte Rosenberger. Den »NGG-Schwung« wolle man nun aus Berlin in die Betriebe tragen. Doch das Treffen war auch Abschied und bisschen Abrechnung. Abschied, weil nach 21 Jahren an der Gewerkschaftsspitze Franz-Josef Möllenberg nicht mehr zur Wahl stand. Er hatte seinen Rückzug Anfang April überraschend bekanntgegeben, nachdem er zu Jahresbeginn gesagt hatte, er wolle noch einmal antreten. »Aus persönlichen Gründen« hieß es offiziell. Was hinter den Kulissen der Gewerkschaft lief, ist unklar. In einer internen Erklärung, aus der das »Handelsblatt« zitierte, war von »persönlichen Verletzungen und Hinterfotzigkeiten« die Rede.

Auf dem Gewerkschaftstag schien all das vergessen. Möllenberg wurde gebührend verabschiedet, die Laudatio hielt der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, der die Verdienste und die Beharrlichkeit besonders beim gesetzlichen Mindestlohn lobte, den er mit als erster gefordert hatte. Es floss manche Träne. Seit zehn Jahren trommelte der Langzeitchef für die Lohnuntergrenze - die teilweise nahezu gewerkschaftsfreien Zustände und unterirdischen Löhne nicht nur im Gastgewerbe vor Augen.

Franz-Josef Möllenberg sei jemand, »bei dem das gesprochene Wort gilt und der absolut verlässlich war, wenn man sich mit ihm auf etwas verständigt hatte«, sagte auch ver.di-Chef Frank Bsirske gegenüber »nd«.

Dass Michaela Rosenberger, die bis dato Möllenbergs Stellvertreterin war, knapp 87 Prozent der Stimmen erhielt, ist wohl kein Desaster, deutet aber doch darauf hin, dass der Wechsel nicht ganz ohne Streit vonstatten gegangen sein kann. Das neue Vorstandsmitglied Burkhard Siebert, bisher Vizevorsitzender des Landesbezirks Südwest, konnte sich über rund 96 Prozent freuen. NGG-Tarifexperte Claus-Harald Güster erfuhr mit 62 Prozent eine deutliche Kritik.

Künftige Politik festgelegt

Mit den sich über Mittwoch und Donnerstag hinziehenden Antragsberatungen legte die NGG ihren politischen Fahrplan für die nächsten fünf Jahre fest. Es ging um betriebspolitische wie auch allgemeinpolitische Themen.

Heftig debattiert wurde am Donnerstag einmal mehr der gesetzliche Mindestlohn beziehungsweise dessen Höhe. Es gehe auch um eine »Frage der Glaubwürdigkeit«, sagte ein Delegierter. »Wir sagen immer: Menschen müssen von ihrem Lohn leben können. Aber das kann man von 8,50 Euro pro Stunde nicht!« Michaela Rosenberger hatte am Vortag vor Journalisten gesagt, auch 8,50 Euro seien noch im Niedriglohnbereich, entgegnete aber den kritischen Delegierten realpolitisch, die 8,50 Euro durchzusetzen sei angesichts des Widerstandes aus Politik und Wirtschaft schwer genug. Als Ergebnis gab es den Beschluss: »Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 8,50 Euro, der nach Einführung rasch auf mindestens 10,00 Euro erhöht werden muss.« Nahezu wortgleich hatte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf ihrem Bundeskongress 2011 entschieden. Auch damals war eine hitzige Debatte dem Entscheid vorangegangen.

Ein weiteres großes Thema, das die zweitkleinste DGB-Gewerkschaft in den nächsten Jahren beschäftigen soll, ist eine Anpassung der teilweise über 20 Jahre alten Entgeltrahmentarifverträge oder des Bundesrahmentarifvertrages. Nicht nur im Einzelhandel tobt gerade ein erbitterter Tarifkampf um den Mantel und eine Neugestaltung der Eingruppierungen. Es vergeht kaum ein Tag an dem ver.di nicht zu Warnstreiks irgendwo in der Bundesrepublik aufruft. Der Entgeltrahmentarifvertrag regelt, in welche Entgeltgruppe Beschäftigte je nach ihrer ausgeübten Tätigkeit gesteckt werde, konkret: wie viel sie verdienen. Da sich aber die Tätigkeitsfelder in den letzten Jahren erheblich verändert haben, ist diese Anpassung überfällig und auch dem alten und neuen NGG-Vorstand Claus-Harald Güster »eine Herzensangelegenheit«.

Angenommen wurde auch der Antrag zur »NGG-Demografie-Strategie 2020«, in dem es um alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen geht. Güster präsentierte eine Umfrage unter Betriebsräten aus der Ernährungswirtschaft. Das ernüchternde Ergebnis: In mehr als zwei Drittel der Betriebe wird Schichtarbeit geleistet, in über 70 Prozent werden ständig Überstunden geleistet. Beides sind Faktoren, die zu Erkrankungen und nicht selten erzwungenen Frühverrentungen von Beschäftigten führen. Arbeitsplätze müssten darum »demografiesicher« gemacht werden, so Güster.

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