Sieben Tage, sieben Nächte
Als diese Woche begann, standen wir in der Redaktion vor einem Rätsel und die USA am Abgrund. Heute sind die USA einen Schritt weiter, ganz im Gegensatz zur Redaktion. Denn Washingtons Haushaltsproblem ist aufgeschoben – nur oder immerhin, je nach Sichtweise. In der Redaktion aber werden wir in ein paar Wochen wieder knobeln, wie weit das Hasardspiel um den Staatshaushalt wohl ausgereizt wird und wie wir mit Ereignissen umgehen, die sich über Nacht abspielen, im Zeitloch zwischen Redaktionsschluss und Auslieferung der Zeitung. Und alles nur, weil ein paar durchgeknallte Erzkonservative hinterm Großen Teich immer noch Kalter Krieg spielen, diesmal gegen Obama.
Da lobe ich mir die Singvögel. Die lassen sich zuverlässig blicken, sobald im Spätherbst die Futterstelle am Redaktionsfenster wieder eingerichtet wird. Rechtzeitig jedenfalls, bevor Väterchen Forst seinen kalten Krieg gegen die Natur eröffnet. Anderthalb Meter vom Schreibtisch entfernt, holen sich Spatzen und Meisen die Körner und lassen sich vom Redaktionsleben hinter der Glasscheibe nicht stören. Wahrscheinlich ist es für sie ein Besuch im Menschenzoo: Sie kommen vorbei, werfen einen Blick auf die merkwürdigen Wesen, die im Glaskasten eingesperrt sind, und holen sich dabei einen Imbiss.
Leider sind es nur Spatzen und Meisen – Rotkehlchen, Eichelhäher, Finken und Amseln, die man am Stadtrand durchaus antrifft, lassen sich bei uns nicht blicken. Höchstens, dass ab und zu mit Getöse eine Krähe auf dem Fensterbrett landet, was jedes Mal wirkt, als käme ein Jumbo auf dem Dorfanger nieder. Die anderen Arten wurden wahrscheinlich hinweg gentrifiziert; geeigneter Wohnraum ist eben überall knapp. Das wissen auch die Studenten, die jetzt, zu Semesterbeginn, sehen müssen, wo sie eine Bleibe finden. Marlene Göring und Marcus Meier haben sich in Thüringen und Nordrhein-Westfalen umgesehen, nachzulesen auf den Seiten 18 und 19.
Übrigens benehmen sich die Spatzen an der Futterstelle wie die Platzhirsche. Während sich die Meisen ein Körnchen schnappen und wieder verschwinden, um es in Ruhe und Sicherheit zu verzehren, sitzen die Spatzen auf dem Fensterbrett, plündern schamlos den Vorratsbehälter, hinterlassen eine ziemliche Schweinerei und verdrängen Konkurrenten. Eine für den Betrachter unsympathische Aggressivität, die aber durchaus ihren Sinn hat. Wie übrigens auch beim Menschen – darüber schreibt Walter Schmidt auf Seite 22 unter pädagogischem und therapeutischem Aspekt.
War sonst noch was? Ach ja, die Sache mit CDU, CSU und SPD. Niemand wollte sie angeblich, nun wird sie uns wohl ereilen. Jedenfalls pfeifen das – – sorry, der muss jetzt sein – die Spatzen von den wärmeisolierten Berliner Dächern. wh
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