Vom Beobachter zum Spürhund
Die Weltantidopingagentur im Wandlungsprozess
1999 noch als Organisation gegründet, die weltweit Antidopingmaßnahmen koordinieren und dafür internationale Standards entwickeln sollte, ist die Weltantidopingagentur WADA im Laufe der Jahre immer mehr zu einem Akteur geworden. Sie kritisierte offen Sportverbände, wenn diese in der Dopingaufklärung Laxheit walten ließen. Sie versuchte, - mal öffentlich, mal hinter verschlossenen Türen - auf nationale Antidopingagenturen Einfluss zu nehmen, die Athleten im eigenen Wirkungsbereich nicht angemessen verfolgten. Aktuell betrifft dies Kenia und Jamaika. Aber auch die deutsche NADA musste sich im Fall des Erfurter Blutbestrahlers Andreas Franke vom WADA-Generalsekretär David Howman die Leviten lesen lassen.
Im neuen Antidoping-Code, der von der WADA-Generalversammlung am Freitag in Johannesburg im Rahmen der 4. Weltantidopingagentur verabschiedet wurde und nach diversen weiteren Anerkennungsprozeduren ab 1. Januar 2015 in Kraft treten soll, kann die WADA im Einzelfall sogar selbst Untersuchungen anstrengen. Dies betonte Howman in Johannesburg. Der neue Code verlagert zudem den Fokus von der bloßen Testpraxis hin zur Informationsgewinnung über Dopingpraktiken auch in Zusammenarbeit mit staatlichen Ermittlungsbehörden. Die einzelnen Antidopingagenturen verpflichten sich demnach zur aktiven Informationsbeschaffung. Das wäre ein Mentalitätswechsel.
Wie dies von der WADA und den nationalen Agenturen zu bewerkstelligen ist und welche Ressourcen dafür notwendig bereitstehen, ist freilich noch ungeklärt. »Unser Budget ist kleiner als die Bezüge, die Wayne Rooney von Manchester United erhält«, meinte Howman trocken. Den NADA-Etat von 4,6 Millionen Euro könnte schon Bayern-Verteidiger Jerome Boateng locker aufbringen. Philipp Lahm oder Bastian Schweinsteiger könnten mit einem ihrer Jahresgehälter die NADA gleich drei Jahre komplett durchfinanzieren. An diesen Zahlen wird sichtbar, wer relevanter ist im Sportunterhaltungsgeschäft.
Da andererseits der Sport wegen zahlreicher aufgedeckter Betrugspraktiken in Misskredit gekommen ist, erfährt auch der Wachhund WADA eine Aufwertung. Der Blutpass soll von einem Steroidpass ergänzt werden. Von Delegierten aller Länder wurde die Verlängerung der Strafe von zwei auf vier Jahre gleich beim ersten schweren Verstoß verabschiedet. Auch die Verweigerung oder die Manipulation einer Dopingprobe soll mit vier Jahren Sperre bestraft werden. Den Athleten entgegengekommen wurde im Meldeprogramm. Verstöße gegen die Mitteilungspflicht zum Aufenthaltsort, die sich mit Übermittlungspannen erklären lassen, werden nur noch 12 Monate anstatt bislang 18 Monate gespeichert.
Hart debattiert wurde der Zeitraum, in dem Proben gelagert und für Nachtests zur Verfügung gehalten werden sollen. Von ursprünglich 14 Jahren bei schwerem Dopingverdacht und den aktuellen acht Jahren für alle anderen Proben gelangte man zu einem Kompromiss von zehn Jahren für alle.
Bemerkenswerter als diese Änderung ist, dass mit dem neuen Code nicht mehr nur Sportler, sondern auch Trainer und Betreuer sanktioniert werden können. Athleten, die mit gesperrten Betreuern während der Zeit der Sperre zusammenarbeiten, können ihrerseits aus dem Wettkampfbetrieb genommen werden. Dies könnte den Dopingsumpf in einigen Sportarten tatsächlich nachhaltiger austrocknen. Weil langjährige Sperren in einigen Sportarten aber einem Berufsverbot gleichkommen könnten, rechnen Sportrechtler mit Klagen wegen vermuteter Verletzung der Menschenrechte. Erst nach solchen Verhandlungen wird sich erweisen, wie wirkungsvoll der neue Antidoping-Code tatsächlich ist. Auch Gerhard Böhm, Leiter der Sportabteilung des Bundesinnenministeriums, befürchtete in Johannesburg, »dass Gerichte die Strafe als unverhältnismäßig ansehen«.
Craig Reedie, der am Freitag durch das WADA-Foundationboard als einziger Kandidat ohne Gegenstimme zum neuen Präsidenten gewählt wurde, soll die WADA auf ihrem neuen Kurs führen. Der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees ist nach Richard Pound aus Kanada und dem Australier John Fahey, der nach sechs Jahren am 31. Dezember sein Amt abgeben muss, der dritte WADA-Präsident - und der erste aus Europa. »Ich freue mich, dass ich, zumindest soweit ich sehen kann, die einhellige Unterstützung habe«, sagte der 72-jährige Schotte.
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