Ein Zeichen setzen

Bernd Zeller über den Kampf gegen die Plastiktüten, die europäische Integration und Margot Honecker

  • Bernd Zeller
  • Lesedauer: 4 Min.

Unser heutiger Bericht verdeutlicht nicht nur Bedeutung und Notwendigkeit der europäischen Integration, und zwar auf EU-Ebene, er unterstreicht sie sogar. Letzte Zweifel werden ausgeräumt mitsamt den Zweiflern, denn die EU-Kommission oder eine andere Behörde, die mit ihr verwechselt werden könnte, hat sich nach dem Verbot der Glühbirnen zum Ziel gesetzt, den Kampf gegen Plastiktüten aufzunehmen.

Viele EU-Bürger sind der irrigen Annahme, schon ausreichend gegen Plastiktüten zu kämpfen, indem sie sie in den Müll werfen. Doch darin liegt eines der verursachten Probleme. Europa liegt bekanntlich am Meer, deshalb geraten die meisten Plastiktüten in internationale Gewässer, werden von Fischen gefressen und kommen in panierter Form wieder auf unsere Teller, die wir aus Gewohnheit leer essen. Die Plastiktüten lösen sich im Wasser nicht auf, was leider auch noch günstig ist, sonst würden sie in homöopathischer Verdünnung ihre Information auf den gesamten Ozean übertragen.

Als gesichert gilt, dass die Meeresbewohner kein Interesse an den Plastiktüten und keine Verwendung für sie haben, dazu sind keine Umfragen nötig, so etwas weiß die EU-Kommission eben, was wiederum nicht bedeutet, dass sie es sich gedacht hat. Sie fühlt sich zuständig für die Belange draußen im Lande und im Wasser, gerade wenn es sich um Themen handelt, die zu groß sind für die Leute. Die Leute sind es ja, die immer wieder von Plastiktüten befallen werden und sich abkämpfen, indem sie sich mit diesen Lasten durch die Stadt schleppen. Man sieht also, wie wenig der Einzelne gegen eine solche Plage ausrichten kann.

Die Bezeichnung Kampf ist daher nicht zu pathetisch gewählt. Alle großen Visionen wurden aus einem Kampf geboren. Oder mündeten in einen. Mit der Vision ist jetzt nicht die Plastiktütenlosigkeit gemeint, sondern Europa. Als jüngstes Beispiel bot sich die Völkerschlacht, genauer gesagt der 200. Jahrestag, der zum Anlass genommen wurde, die Interpretation der damaligen Ereignisse den aktuellen Erkenntnissen anzupassen. Offenbar sagt eine Gesellschaft über sich selbst das meiste damit aus, wie sie die Völkerschlacht interpretiert. Vor 100 Jahren stand sie noch für kriegerisches Heroentum, vor 50 für den Widerstand des Bündnisses fortschrittlicher Kräfte gegen den Aggressor aus dem Westen, in diesem Jahr war es die multikulturelle Vielfalt von europäischen Armeen unterschiedlicher Nationen bei der Begegnung mit Napoleon auf Augenhöhe. Eigentlich stünde Napoleon noch eher für die europäische Vision, aber dazu hätte er gewinnen müssen. Er hätte wenigstens Sympathien behalten können, wenn er die Befreiung Europas von der Plastiktüte auf seiner Agenda gehabt hätte.

Der Kampf gegen Plastiktüten sollte möglichst spektakulär geführt werden, damit ihn künftige Generationen zu den Jubiläen an Originalschauplätzen nachspielen können. Da es sich im weitesten Sinne nicht um Kulturgüter handelt, wäre eine Tütenverbrennung unbedenklich.

Um den Gründungsmythos der EU darauf zu stützen, darf - das hat die Kommission ganz richtig erkannt - die Plastiktüte nicht einfach abgeschafft werden, sondern ist zu bekämpfen. In Gegenden, in denen der Kampf gegen andere Übel bereits erfolgreich gefochten wurde, können etwa Kulturvereine ihre Finanzierung durch Fördermittel aus dem Kampf gegen Plastiktüten erhalten. Die Kosten für Aufkleber und Plakate dürften sich so erwirtschaften lassen. Einzelne Antipla-Aktivisten gehen vielleicht manchmal etwas zu weit, wenn sie den Supermarktkunden die Dinger entreißen, aber für solche Exzesse kann keiner was, und ein Zeichen gesetzt wird damit allemal.

Allerdings ist damit zu rechnen, dass sich nun Europahasser formieren und mittels Plastiktütenpopulismus auf Stimmenfang gehen. Immerhin entspringen die Plastiktüten der Mitte der Gesellschaft. Die Methoden, Europa zu sabotieren, sind mitunter geschickt und unauffällig. So geschieht unerkannt Zersetzungsarbeit in den Schulen, indem etwa den Schülern die Rechtschreibung verheimlicht wird und sie am Erwerb der Fähigkeit zum Lesen zusammenhängender Texte gehindert werden, ohne dass dies im pädagogischen Konzept erwähnt wäre. Viele Lehrkräfte fragen sich: Wo ist Margot Honecker, wenn man sie mal braucht? Sie durchschauen nicht den Zweck, nämlich den Sturz Europas, wenn niemand mehr die EU-Richtlinien lesen kann. Angela Merkel wird demnächst verkünden: Scheitert der Kampf gegen Plastiktüten, scheitert Europa.

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