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Der Topspion, der keiner war
Eckard Michels berichtet über Günter Guillaume als Diener zweier Herren
Was wurde nicht schon alles über Günter Guillaume (1927-1995) und dessen Ehefrau Christel (1927-1994) geschrieben? Nachdem der Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt als Quelle des Auslandsnachrichtendienstes der DDR, der Hauptverwaltung A (HVA), am 24. April 1974 enttarnt wurde. Guillaume selbst hat seine Erinnerungen geschrieben: »Die Aussage«. Sohn Pierre Boom berichtete über ihn unter dem Titel »Der fremde Vater«. Wenn Fremde über Guillaume schrieben, lautete das Urteil unisono »Topspion«, wie etwa bei Guido Knopp. Das war er wohl nicht, wie die Studie des Historikers Eckard Michels bezeugt.
Der Autor will nicht nur eine Biografie der Eheleute Guillaume bieten, sondern ein Stück Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, oder mehr noch: deutsch-deutsche Geschichte im Kalten Krieg. Das ist kein leichtes Unterfangen.
Trotz der schier unüberschaubaren Literatur birgt das Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde lediglich einzelne Splitter der einstmals über 10 000 Seiten umfassenden Aktenvorgänge »Hansen« und »Heinze«, wie Günter und Christel Guillaume bei der HVA hießen. Diesen Faszikel, Akten bündelweise, verknüpft Michels mit der nachrichtendienstlichen Philosophie, wie sie in den 1950er bis 1970er Jahren im Osten vorherrschend war. Die geheime Karriere des Günter Guillaume begann im Februar 1953, Vorgang Nummer 939. Sein Entdecker wird Manfred Fellmuth gewesen sein, der seinerzeit für die operative Arbeit gegen die SPD zuständig war. Was das einstige NSDAP-Mitglied, seit 1952 Mitglied der SED und Redakteur im Verlag Volk und Welt interessant machte, konnte Michels nicht aufhellen. Er ordnet ihn aber in den Kontext eines antikommunistischen »Widerstandskreises der Jugend der Sowjetzone« ein, der im Laufe des Jahres 1952 vom Ministerium für Staatssicherheit aufgerollt worden war. Die darin Guillaume selbst betreffenden Unterlagen entnahm Jahre später Paul Laufer, gleichfalls wie Fellmuth ein SPD-Spezialist, der überlieferten Akte. Christel Guillaume wurde deutlich später, aber auch schon vor ihrer Übersiedlung aus dem Osten in den Westen, als Quelle rekrutiert. Offenkundig waren beide, als sie nach Frankfurt am Main geschleust wurden, als Residenten vorgesehen, die vorgeblich für einen »Fritz« und einen »Max« zumindest zeitweise eingesetzt waren.
Spätestens ab 1961 agierten »Hansen« und »Heinze« als Quellen. Zunächst sie, später er. Obgleich Michels auf breiter Literaturbasis die Wege der beiden akribisch nachzeichnet, wäre es wünschenswert gewesen, er hätte Christels Frankfurter Zeit mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Zu wenig Beachtung erhält deren politisches Engagement in der SPD oder die Beziehung zu ihrer Parteifreundin und damaligen Stadtverordneten im Frankfurter Römer, Rose-Marie Siebold. Umgekehrt hätte man gern mehr Aufschluss über die Verbindung Günter Guillaumes zur Sozialdemokratin Brigitte Freyh (1924-2009) erhalten.
Michels entmystifiziert das öffentlich dominante Bild Guillaumes als Topspion. Der für ihn von 1969 bis 1974 belegbare Informationsfluss wurde in Quantität und Qualität von anderen Quellen bei weitem übertroffen. Michels zeichnet elegant und spannungsreich die Bonner Zeit Guillaumes nach. Ob seiner Doppelrolle als Diener zweier Herren - offiziell des Kanzlers, inoffiziell des DDR-Staatsratsvorsitzenden - war Günter Guillaume zuletzt zermürbt, ausgelaugt. Wohl deshalb gab er bei seiner Verhaftung wie befreit sein Bekenntnis zur DDR ab.
Eckard Michels hat einen großen Wurf vorgelegt.
Eckard Michels:
Guillaume, der Spion. Eine deutsch-deutsche Karriere. Ch. Links Verlag. 414 S., geb., 24,90 €
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