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Der Schoß ist fruchtbar noch
Reportagen gegen Rechtsextremismus und Rassismus
Muss man Geschichte denn wirklich selbst erlebt haben, um wiederkehrende Gefahren rechtzeitig zu erkennen, sich gedanklich gegen sie zu wappnen und dagegen anzukämpfen? Nein, das muss man nicht, wie wir alle wissen. Wachsam sein, das kann aber jeder Bürger. Und etwas dagegen zu tun, ist des Staates Pflicht. Warum also kann Neonazitum, Rechtsextremismus, Rassismus, von denen in der Vergangenheit so viel Unheil über die Menschen gekommen ist, sich in deutschen Landen wieder und wieder ausbreiten?
Zwei Journalisten, Björn Menzel und Jens Kiffmeier, haben sich dem Thema in ihrer Reportagesammlung »OhneMacht« genähert. Sie fragen: Hat eine funktionierende Demokratie dem braunen Mob nichts entgegenzusetzen? Sie wollen den Blick für das drängende Problem schärfen und das Augenmerk auf Menschen lenken, die sich dem Mob entgegenstellen, aber am Machtapparat scheitern.
Sie besuchten die Dörfer Jamel und Koblentz in Mecklenburg-Vorpommern und Stresow in Sachsen-Anhalt, in denen die NPD bei den vergangenen Landtagswahlen hohe Stimmengewinne verzeichnete, in denen die Neonazis »national befreite Zonen« deklarierten und mit Terror und Angst regieren. Und so manch einer der Bewohner sagt, es hätten noch zu wenig Leute die NPD gewählt. Werden die rechten Umtriebe in der Presse angeprangert, beschweren sich die Dörfler über das »Schlechtmachen« ihrer Orte.
Was sind die Ursachen dafür, dass rechtes Gedankengut auf nahrhaften Boden fällt? Kleine Dörfer bluten aus - vor allem junge Menschen verlassen auf der Suche nach Arbeit das flache Land, gerade in Vorpommern. »Mit jedem, der seinem Ort den Rücken kehrt, könnten die Neonazis an Boden gewinnen«, schreiben die Autoren. Sie fänden dort oftmals einen ungestörten Rückzugsort. Zugleich nehmen die Gemeindegebietsreformen den kleinen Dörfern die Mitbestimmung und damit auch Geld. Die Dorfbewohner protestieren dagegen und wählen NPD. »Bevölkerungsschwund, Perspektivlosigkeit, Lethargie und Unwissenheit sind nur einige Probleme, die einem erfolgreichen Kampf gegen Rechts entgegenstehen«, meinen die Autoren.
Die beiden Journalisten schreiben auch über Menschen, die sich wehren: Da ist das Ehepaar, das in Jamel mit regelmäßigen gut besuchten Rockkonzerten gegen rechts kämpft und die 67-jährige Politaktivistin in Berlin, die seit 26 Jahren Naziaufkleber und Schmierereien entfernt. Es gibt Bundes- und Kommunalpolitiker, deren ernsthafte Vorschläge gegen rechts indes in Schubladen landen (vor allem, wenn es sich LINKE-Politiker handelt). Gewürdigt werden auch Redakteure und Reporter, die mit steter kritischer Berichterstattung auf die Gefahr hinweisen und sich nicht kirre machen lassen.
Das Buch provoziert die Frage: Funktioniert unsere Demokratie wirklich? Offensichtlich nicht überall. Ist es denn nicht höchste Zeit, die Neonazi-Parteien zu verbieten, statt ihre geistigen und tatsächlichen Verbrechen mit Steuergeldern zu finanzieren? Dann würde ihre Ideologie dem Straftatbestand entsprechen. Stattdessen wird abgewiegelt und weggeschaut. Alles unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung der Bürger. Doch es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung, ohne Moral. Die Autoren bieten keine fertigen Antworten, sie fordern Vor- und Nachdenken.
Im abschließenden Interview sagt Lothar König, Jugendpfarrer aus Jena, dem wegen seines Auftretens gegen rechts sogar der Prozess gemacht wurde: »Ich sehe im ... Rechtsextremismus nicht wirklich eine Gefahr. Ich gehe davon aus, dass wir ... lernen müssen, mit Neonazis leben zu können.« Das wurde Ende der Weimarer Republik auch allzu oft gemeint. Wohin es führte, wissen wir. In Mecklenburg und Pommern, den Gegenden, in denen die beiden Journalisten recherchierten, erhielt bei der Reichstagwahl 1933 die NSDAP die meisten Stimmen in Deutschland, 55 und mehr Prozent.
Nein, mit Nazis muss man nicht leben. Bürger und Politik müssen sie und ihre Ideologie bekämpfen. Damit der Schoß nicht fruchtbar bleibt, aus dem das kroch.
Björn Menzel/Jens Kiffmeier:
OhneMacht. Zerfall der Gesellschaft. Kampf gegen Rechts. Schkeuditzer Buchverlag.
148 S., geb., 12,90 €
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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