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Todesschwadronen

Die Einsatzgruppen im deutsch-faschistisch okkupierten Polen

  • Ernst Reuß
  • Lesedauer: 4 Min.

Offiziell waren die deutschen Todesschwadronen der Wehrmacht unterstellt, inoffiziell erhielten sie ihre Weisungen von der SS. Sechzehn Einsatzkommandos, bestehend aus bis zu 150 Mann, hinterließen eine breite Blutspur durch das okkupierte Polen. Nach den einvernehmlich mit der SS beschlossenen Richtlinien des Oberkommandos des Heeres dienten sie der »Bekämpfung aller reichs- und deutschfeindlichen Elemente im Feindesland rückwärts der fechtenden Truppe«. Im NS-Sprachgebrauch waren sie also für »Säuberungen« zuständig.

Den Einsatzgruppen wurden beispielsweise befohlen, die führende Bevölkerungsschicht in Polen »so gut wie möglich unschädlich zu machen«. Das meinte die Ermordung der polnischen Intelligenz. Penibel aufgelistet wurde in einer Einsatzmeldung, dass 73 Lehrer und Lehrerinnen, 13 Finanzbeamte sowie zwei Apotheker liquidiert worden seien. Die Opferzahlen können nur noch geschätzt werden. Bis zum Frühjahr 1940 sollen allein mindestens 60 000 Menschen in Polen durch Deutsche ermordet worden sein.

Erstmals sind nun in Deutschland die Berichte der deutsch-faschistischen Einsatzgruppen in Polen komplett editiert und - zurückhaltend - kommentiert. Eine bereits 1971 erschienene polnische Edition wies etliche Lücken auf, vor allem hinsichtlich polnischer Reaktionen. Das scheint der Zensur geschuldet gewesen zu sein, denn auch antisemitische Stimmungen in der polnischen Bevölkerung wurden in den Einsatzberichten wohlwollend notiert. So heißt es an einer Stelle: »Über Festnahmen von Juden wird fast überall Zustimmung festgestellt. Man hört auch von führenden Leuten Warschaus immer wieder die Frage: ›Wann wird der Jude wohl ganz aus Polen verschwinden?‹«

Die polnischen Juden wurden jedoch zunächst noch gebraucht - ohne sie wäre die polnische Wirtschaft sofort zusammengebrochen. In den ersten Einsatzmeldungen nach dem Überfall Deutschlands auf Polen werden die Juden eher marginal erwähnt, im Fokus sind die polnische Bevölkerung, die katholische Kirche und die »Volksdeutschen«. Ein Bericht meldet, dass zahlreiche Anzeigen von »Volksdeutschen« eingegangen seien, die Misshandlungen durch Polen anzeigten. Bei einer Überprüfung habe sich aber ergeben, »dass einem großen Teil der Anzeigen ausschließlich persönliche Motive zugrunde lagen«.

Nicht immer sind die Meldungen wahrheitsgetreu wie die hier zitierte. Im Gegenteil, mehrheitlich wurde das wahre Geschehen im besetzten Polen verschwiegen oder geschönt. Eigene Massaker werden nicht erwähnt. Wie man heute weiß, wurden bereits im ersten Kriegsjahr mehrere Hundert Juden exekutiert. Verbrechen werden lapidar vermeldet, wie etwa »die Schießereien in Tschenstochau« am 4. September 1939, die bis in die späten Abendstunden andauerten. Die Wehrmacht zählte neun Tote und 40 Verletzte. »Von der Wehrmacht wurden daraufhin rund 100 Zivilisten erschossen.« Eine andere Meldung informiert: »Am 10. 9. 1939 um 16.45 auf Wehrmachtsbefehl zur Vergeltung für neue nächtliche Schüsse auf deutsche Soldaten 20 Polen durch Feldgendarmerie erschossen.«

Die Berichte zeugen von ideologischer Indoktrination, tief verinnerlichtem Antisemitismus und Rassismus unter den Angehörigen der Einsatzgruppen. Da wurde beispielsweise Lodz als »die Zentrale der internationalen Taschendiebe« ausgemacht; angeblich existiere in der Stadt sogar eine »Taschendiebstahlschule, in der die jüdischen Taschendiebe systematisch in den einzelnen Kunstgriffen dieses Gewerbes unterrichtet« würden. Die Berichteschreiber mokieren sich über das »unwürdige Verhalten der deutschen Soldaten, die sich mit polnischen Weibern abgeben« und über das »selbstbewusste Auftreten der Polen«. Jüdische »Dirnen« seien aus dem Verkehr gezogen, wird vermeldet. Bürokratisch-korrekt wird das Morden beantragt: »... für die Verbrecher T. und S. bitte ich die standrechtliche Erschießung auf dem hiesigen Marktplatz beantragen zu wollen, da wieder einmal … ein abschreckendes Beispiel statuiert werden muss.«

Am 24. Oktober 1939 wurde berichtet, man habe den Eindruck, dass »sich nunmehr der größte Teil der Polen mit der Tatsache, dass Polen restlos zerschlagen ist, abgefunden hat und versucht, sich mit den deutschen Behörden und sonstigen deutschen Stellen gut zu stellen«. Angemerkt wurde, »dass sich vereinzelt die Polen auch bereitfinden, gegen ihre hiesigen Volksgenossen Anzeigen zu erstatten, falls diese sich irgendwie an Ausschreitungen gegen Deutsche beteiligt haben«.

Die Einsatzgruppen wurden mit Erlass vom 20. November 1939 aufgelöst und erst wieder nach dem Überfall auf die Sowjetunion aufgestellt. In den besetzten Gebieten der UdSSR wüteten sie in einem Ausmaß, das ihre Verbrechen in Polen weit übertraf.

Stephan Lehnstaedt/Jochen Böhler (Hg.):
Die Berichte der Einsatzgruppen aus Polen 1939.
Metropol. 480 S., br., 24 €

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