Ukraine streitet unter Tränengas um die EU

Aufruf zu Dauerprotest / Brüssel kritisiert Moskau

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Protesten, Erklärungen und Tränengas wurden die Auseinandersetzungen um eine EU-Assoziierung der Ukraine fortgesetzt.

Für Proteste sorgte die Absage der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU auch am Montag in der Ukraine. Bereits am Morgen hatten sich vor dem Regierungsgebäude im Zentrum der Hauptstadt Kiew rund 1000 Demonstranten versammelt. Sie versuchten den Sturm.

Abgewehrt wurden die Attacken der »EU-Befürworter« von der Sondertruppe »Berkut« mit Schlagstöcken und Tränengas. Das Innenministerium sprach von zwei verletzten Polizisten und einem »nicht massiven« Einsatz von Tränengas. Der sei, wie ukrainische Agenturfotos zu bestätigen schienen, nur als Antwort auf ebensolche Angriffe von Demonstranten erfolgt.

Geht es nach dem Willen der inhaftierten ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko, dann hält der Protest auf dem zentralen Platz zumindest bis zum Gipfel der Östlichen EU-Partnerschaft am 28. November in Vilnius an. Dort sollte das Abkommen über die EU-Assoziierung der Ukraine unterzeichnet werden. Boxweltmeister Vitali Klitschko, Chef der Oppositionspartei »Udar« (Schlag), assistierte, dass sogar bis zu einer Unterzeichnung des Abkommens demonstriert werden solle.

Die scheint in weiterer Ferne zu liegen. Doch auch die Brüsseler Ecke versuchte, Mut zu machen. Das Partnerschafts- und Wirtschaftsabkommen bleibe »auf dem Tisch«, versicherten EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und der Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso in einer gemeinsamen Erklärung. Sie suchten wachsende Besorgnisse zu beschwichtigen, die Ukraine könne durch eine Abkehr von Russland einen unvorteilhaften Handel eingehen. Das Abkommen biete doch bestmögliche Unterstützung für Reformen und Modernisierung, für eine gedeihliche und stabile Zukunft. Kurzfristige Erwägungen sollten langfristige Vorteile nicht überlagern, warben sie.

Als ihren eigentlichen Gegner machten die EU-Spitzen nicht den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, sondern Russlands Wladimir Putin aus. Ungewöhnlich scharf nahmen sie den Kreml für die eigene Schlappe wegen »externen Druckes« in die Pflicht: »Wir missbilligen die russische Position und Handlungen in diesem Zusammenhang deutlich.«

Keine Erwähnung wert blieb die strikte EU-Bedingung für einen Vertragsabschluss, Julia Timoschenko freizulassen. Das war in Kiew als Druck und versuchte Demütigung empfunden worden. Auch wenn Premier Nikolai Asarow auf die »wirtschaftlichen Gründe« für die Entscheidung gegen das Abkommen verwies, meinte er offenbar nicht nur Moskau. Allerdings warnte Russland vor Nachteilen beim Im- und Export und hat ohnehin die Hand am Gashahn.

Doch von der EU ist bislang kein auch nur halbwegs angemessener Ausgleich für ökonomischer Nachteile zu erwarten, die der Ukraine aus dem Verlust des mit 30 Prozent Exportanteil höchst wichtigen Handelspartners im Osten erwachsen würden. Russland soll, wie ausgerechnet die Opposition bisher unwidersprochen verkündete, den Gaspreis in Kürze senken wollen. Der Internationale Währungsfonds fordert dagegen 40 Prozent höhere Gaspreise für die Bevölkerung.

Vorerst versucht die Regierung, in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen. Unter Hinweis auf zunehmende Erkältungskrankheiten wurde am Montag niemand zu Julia Timoschenko in die Klinik gelassen. In Odessa und anderen Städten verboten Gerichte Protestaktionen.

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