Ist Verhinderungspflege trotz ambulanter Hilfe möglich?
Fragen & Antworten zu Verhinderungspflege, Kostennachweis, Ablehnung einer Pflegestufe
Rund um die Pflege - dazu wieder Fragen & Antworten.
Weil ein ambulanter Dienst einen Pflegebedürftigen üblicherweise nicht rund um die Uhr unterstützt, hilft in der Regel ein Angehöriger, wie das in meinem Fall geschieht. Meine Frage ist nun: Steht dieser Angehörige - aus welchen Gründen auch immer - vorübergehend nicht zur Verfügung, gibt es dann eine Verhinderungspflege trotz ambulanter Hilfe?
Willi S., Strausberg
In ihrem geschilderten Fall ist es so, dass der Pflegebedürftige dann die sogenannte Verhinderungspflege in Anspruch nehmen kann. Für 28 Tage im Jahr stehen dafür maximal 1550 Euro zur Verfügung. Wichtig ist der Hinweis: Das gilt auch dann, wenn der ambulante Dienst weiter genutzt wird.
Wie viel Geld für die Verhinderungspflege aber tatsächlich fließt, unterliegt komplizierten Regeln. Deshalb sollte zuvor unbedingt eine kostenfreie und neutrale Pflegeberatung genutzt werden. Diese erhalten gesetzlich Versicherte von ihrer Pflegekasse oder einem Pflegestützpunkt, privat Versicherte von der bundesweiten Compass-Pflegeberatung. Denn ob die Nachbarin oder die Tochter als Ersatzpflegekraft einspringen, hat Konsequenzen für die Höhe der Kostenerstattung.
Übernehmen Angehörige bis zum zweiten Verwandtschaftsgrad die Verhinderungspflege, wird in der Regel das Pflegegeld als Berechnungsgrundlage genommen. In Pflegestufe I sind das 235 Euro monatlich. Für 21 Tage Verhinderungspflege bekommt der Betroffene dann lediglich 176,25 Euro, die er an seine Tochter weitergeben kann.
Nur wenn beispielsweise die Tochter Verdienstausfall und Fahrtkosten nachweisen kann, werden diese Beträge bis zur Maximalsumme erstattet. Ist das nicht der Fall, kann der Pflegebedürftige noch sieben Tage und 1373,75 Euro für die Verhinderungspflege nutzen. Bei dieser Konstellation wird der Höchstbetrag in der Regel nicht mehr ausgeschöpft.
Wenn hingegen beispielsweise die Nachbarin für 21 Tage »einspringt«, spielt das Pflegegeld für die Bezahlung keine Rolle. Sie kann also beispielsweise 1260 Euro in Rechnung stellen. Die Pflegekasse erstattet diese Summe komplett. Dem Pflegebedürftigen bleibt damit ein Restanspruch von sieben Tagen Ersatzpflege und 290 Euro für das laufende Jahr. Rechtsgrundlage der Verhinderungspflege ist der Paragraf 39 des Sozialgesetzbuches XI.
Uwe Strachovsky
Wie verhält es sich hinsichtlich eines Nachweises über die tatsächlichen Kosten bei einer Pflegekostenversicherung? Ist es erforderlich, hier Rechnungen vorzulegen?
Renate W., Eberswalde
Nein, gibt es Geld aus einer geförderten Pflegezusatzversicherung, so kann das frei verwendet werden. Ein Nachweis über die tatsächlichen Kosten ist nicht notwendig.
Der Hintergrund: Beim sogenannten Pflege-Bahr handelt es sich um eine Pflegetagegeldversicherung, wie es sie in der ungeförderten, klassischen Variante schon seit Jahren gibt: Man vereinbart eine bestimmte Summe, die in der jeweiligen Pflegestufe ausgezahlt wird.
In klassischen Verträgen ist die Höhe individuell wählbar - ebenso, in welcher Pflegestufe das Geld fließen soll. Bei der Förderpflege muss in jeder Stufe gezahlt werden.
Gesetzlich vorgeschrieben ist die Mindestsumme von 600 Euro in Stufe III sowie das Auszahlungsminimum in den anderen Stufen. Dieses Geld kann für die ambulante Betreuung, den stationären Aufenthalt oder die Bezahlung von Angehörigen eingesetzt werden. Voraussetzung ist lediglich, dass eine Pflegestufe festgestellt und dies der privaten Zusatzversicherung auch mitgeteilt wurde.
Eine andere Möglichkeit, privat für den Pflegefall vorzusorgen, ist die Pflegekostenversicherungen. Sie soll die finanzielle Lücke zwischen gesetzlicher Pflichtversicherung und tatsächlichem Rechnungsbetrag verringern. Es gibt Tarife, die einen bestimmten Prozentsatz des Eigenanteils bezahlen. Andere legen einen Höchstbetrag fest, bis zu dem die Kosten erstattet werden. Diese Art der Pflegezusatzversicherung ist somit zweckgebunden. Hier sind für die tatsächlich erbrachten Leistungen Nachweise erforderlich.
Gabi Stephan
Mein Vater ist alleinstehend und kommt im Alltag aufgrund seiner eingeschränkten Mobilität immer schwerer zurecht. Doch sein Antrag auf eine Pflegestufe wurde abgelehnt. Wir als seine Kinder finden das nicht richtig. Was ist in einem solchen Fall zu tun? Kann man Widerspruch einlegen und das Gutachten anfechten?
Werner F., Berlin
Zunächst einmal kann man Widerspruch einlegen. Das muss binnen vier Wochen nach Erhalt des Bescheids direkt bei der zuständigen Pflegekasse erfolgen, und zwar schriftlich und am besten als Einschreiben mit Rückschein. Dafür genügt erst einmal ein formloser Widerspruch.
Die Begründung dafür kann nachgereicht werden, nachdem man sich mit dem Gutachten auseinandergesetzt hat. Wer dieses nicht zeitgleich mit dem Bescheid erhalten hat, kann es nachträglich bei der Pflegekasse anfordern.
Bei dem Gutachten des Medizinischen Dienstes (MDK) für gesetzlich oder von medicproof bei privat Versicherten handelt es sich um eine Stellungnahme des von der jeweiligen Kasse beauftragten unabhängigen Gutachters. Darin ist festgehalten, ob die Voraussetzungen für eine Pflegebedürftigkeit vorliegen. Wenn ja, welche Pflegestufe infrage kommt beziehungsweise ob ein außergewöhnlich hoher Pflegebedarf vorhanden ist.
Das Gutachten enthält Aussagen zu einer eventuell vorliegenden eingeschränkten Alltagskompetenz und zum Umfang der pflegerischen Tätigkeiten. Daran orientiert sich die Pflegekasse und gewährt die Pflegestufe oder auch nicht. Es ist also nicht der Gutachter, der diese Entscheidung trifft. Deshalb widerspricht man im Falle einer Ablehnung auch bei der Pflegekasse.
Es gilt dabei herauszufinden, was bei der Erstbegutachtung die Einstufung verhindert hat. Wurde eventuell die Tagespflegezeit für die jeweilige Pflegestufe nicht erreicht? Gemeint ist damit der Zeitaufwand für alle Verrichtungen, also Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung über den Zeitraum von 24 Stunden, die Ihr Vater benötigt.
Für die Pflegestufe I muss man dabei mindestens 90 Minuten Gesamtpflegezeit erreichen, davon mehr als 45 Minuten in der sogenannten Grundpflege. Mindestens 180 Minuten insgesamt, davon mehr als 120 Minuten in der Grundpflege, sind für Pflegestufe II vorgegeben. Bei den geforderten 300 Minuten in Stufe III müssen mindestens 240 Minuten auf die Grundpflege entfallen. Diese beinhaltet den Hilfebedarf bei der Körperpflege, der Nahrungsaufnahme und Hilfe hinsichtlich der Mobilität.
In allen Varianten fehlen oft nur Minuten, um eine Pflegestufe bewilligt zu bekommen. Deshalb sollte man nach der Ablehnung sofort damit beginnen, anhand eines Pflegetagebuches oder Pflegeprotokolls akribisch festzuhalten, was und wie lange durch Dritte getan werden muss.
Bedenken Sie dabei, dass Hilfebedarf und einzelne Hilfeleistungen oft übersehen werden, weil man als Angehöriger manches, was man für den Vater tut, als selbstverständlich nimmt und nicht im Zusammenhang mit der Pflege ansieht. Deshalb ist es ratsam, sich in dieser Phase unbedingt kompetente Unterstützung zu holen, um gemeinsam alle Fakten minutengenau für die Widerspruchsbegründung zusammenzutragen.
Gesetzlich Versicherte können sich bei einem Pflegestützpunkt Rat holen. Den privat Pflegeversicherten hilft die bundesweite Compass-Pflegeberatung weiter. Unter www.compass-pflegeberatung.de können sowohl gesetzlich wie privat Versicherte ein Pflegeprotokoll ausdrucken, in dem alle für die Begutachtung relevanten Tätigkeiten und Zeiten eingetragen werden.
Nach dem Widerspruch beauftragt die Pflegekasse den MDK beziehungsweise medicproof mit einer erneuten Begutachtung. Der Gutachter sollte ein anderer als beim ersten Termin sein. Er dokumentiert die Situation unter Berücksichtigung der im Widerspruch gemachten Angaben. Bei dem neuen Gutachtertermin ist es empfehlenswert, wenn pflegende Angehörige dabei sind. Oftmals können sie die Situation realistischer schildern als der Pflegebedürftige selbst.
Der letzte Schritt: Wird erneut keine Pflegestufe zuerkannt, wäre eine Klage vor dem Sozialgericht möglich. Bevor man diesen Schritt aber geht, sollte wiederum eine ausführliche Pflegeberatung genutzt werden, um die Erfolgsaussichten auszuloten.
Christina Fischer
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.