»Nach oben ist noch Luft«
Gabriele Zimmer zum Wahlkampf der LINKEN und zur Linksfraktion im EU-Parlament
nd: In einigen Bundesländern ist absehbar, dass sowohl AfD als auch NPD 2014 ins Europaparlament einziehen. Bekommt Brüssel eine noch größere Rechtsfraktion als bisher?
Zimmer: Die Regierenden »managen« die Krisen und ihre Folgen in einer Art und Weise, die die Spaltungen in der Gesellschaft weiter vertieft. Damit meine ich sowohl die Regierungen der Mitgliedsstaaten, aber auch die Kommission, deren Rolle in der Troika bis heute verschleiert wird. Menschen sind in Not geraten und leiden. In solchen Situationen ist es für rechte Populisten mit einfach klingenden Parolen relativ leicht, neue Anhänger zu gewinnen. Es gelingt ihnen aber offensichtlich auch, den berechtigten Protest gegen die unsozialen, unsolidarischen Entwicklungen einzubinden. Manche scheuen nicht davor zurück, den Frust gegen noch schwächere Gruppen wie Migrantinnen und Migranten, Sinti und Roma zu kanalisieren. Ja, ich befürchte, wir werden einen Zuwachs haben von rechtsextremen, rechtsnationalen, rechtspopulistischen Parteien. Die Senkung der Hürde für die Europawahl in Deutschland auf drei Prozent wird also eine richtige Herausforderung für uns. Die Anti-Euro-Positionen sind für die AfD lediglich Vehikel, um antisoziale und antiemanzipatorische Werte durchzusetzen. Sie wollen eine Veränderung der Gesellschaft mit Blick auf Rücknahme von schon sicher geglaubten Grundwerten.
Welche Grundwerte meinen Sie?
Zum Beispiel die Frauenrechte. Wir haben einen ersten Eindruck von der Art und Weise eines bevorstehenden Europawahlkampfs vor kurzem bei der Abstimmung zum Estrela-Bericht bekommen, bei dem es um die sexuelle Gesundheit von Frauen ging. Die Kampagne, die gegen diesen Bericht gestartet wurde, geht offensichtlich maßgeblich auch auf AfD-Funktionäre zurück.
Wie kann man solcher Propaganda begegnen? An der Regierungspolitik wird sich ja nichts ändern.
Zum einen, indem wir als Linke unsere Forderungen, unsere Vorstellungen von einem solidarischen und demokratischen Europa und einer demokratischen EU formulieren. Und zum anderen, indem wir entlarven, wohin die Vorstellungen der AfD führen würden, nämlich in ein Gegeneinanderstellen von Bevölkerungsgruppen und deren Interessen, in eine Zersplitterung, in ein Gegeneinander der Interessen von Menschen, die in Griechenland ums Überleben kämpfen müssen, und von Menschen, die in Deutschland unter Hartz IV leiden. Deren Interessen vertritt die AfD nämlich nicht.
Diese Aufklärung muss zuerst in Deutschland direkt geschehen. Auch wenn derzeit in der LINKEN über das Europawahlprogramm diskutiert wird - etwas stiefmütterlich wird das Thema schon behandelt.
Ich habe es bedauert, dass kaum eine der Parteien, darunter auch DIE LINKE, im diesjährigen Bundestagswahlkampf die Zukunft der EU thematisierte. Dabei lag es doch auf der Hand, Merkel und Co. vorzuführen, welche europäischen Auswirkungen ihre Politik hat. Mit dem Wahlausgang ist die Merkelsche Position, nach deutschem Rezept sollen letztendlich die anderen Länder auch funktionieren, sogar noch gestärkt worden. Im Europawahlkampf müssen wir das drehen und zeigen, dass eine EU à la Merkel nicht gut gehen kann. Viel Zeit bleibt nicht um klarzustellen, warum es wichtig ist, dass eine stärkere Linke in Europa, im Europaparlament für eine andere Politik kämpft. Wir müssen auch sagen, wie wir das tun wollen.
Sie stehen einer Fraktion vor, die gerade in der Frage der Zukunft der EU zerstritten ist. Wie soll es da gemeinsame Alternativen geben?
Die GUE/NGL vertritt ein sehr breites Spektrum von Meinungen und Positionen. Wir haben aber Übereinstimmung in mindestens drei Grundpositionen, die es wert sind, um diese GUE/NGL zu kämpfen, sie zu stärken und weiterzuentwickeln. Das ist zum einen unser gemeinsamer Wille, für ein soziales Europa und gegen die Politik der Spardiktate zu kämpfen. Das ist zum zweiten unsere strikte Ablehnung aller Schritte, die in Richtung der Militarisierung der EU gehen. Und das ist drittens unsere Forderung nach demokratischer Teilhabe an den Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen der EU.
Im Wahlkampf wird auch die GUE/NGL nachweisen müssen, was sie in den vergangenen fünf Jahren im Parlament getan hat.
Ja.
Das klingt nicht nach Erfolgen.
Die Fraktion der Linken hat durchaus einiges bewirkt. Wir haben nicht eine Sekunde gezögert, um gegen die »Austeritätspolitik«, also die massiven Kürzungen von Ausgaben für Soziales, Gesundheit und Bildung, die drastischen Einschnitte bei Löhnen und Renten, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst oder die Verlängerung von Arbeitszeiten in den Krisenländern vorzugehen. Inzwischen schließen sich immer mehr Europaabgeordnete unserer Kritik an. Das können wir selbstbewusst auf den Tisch legen.
Ihre Frage zielt aber sicher auch auf den Zustand der Fraktion. Ja, wir müssen unsere Kommunikation untereinander und die Koordinierung weiter verbessern. Es geht um tatsächliche Arbeitsprozesse. Wir müssen die Kooperation mit Bewegungen außerhalb des Parlamentes festigen und offen sein gegenüber Initiativen, die im Parlament für uns alle wichtig sind und die sich mit unseren Vorstellungen decken. Da gibt es sicher noch Luft nach oben, aber auch bereits gute Erfahrungen. Wir sind für viele Partner außerhalb des Parlamentes zum Teil einzige Adresse im Europaparlament - ob bei der Bekämpfung der Armut, im Protest gegen die Wasserprivatisierung, der Liberalisierung von Dienstleistungen, beim Datenschutz oder ACTA. Ich hoffe, dass wir als Fraktion stärker werden, und wir hoffen auch auf die Mitgliedschaft neuer Akteure in der GUE/NGL.
Das heißt, die nächste Fraktion wird wieder konföderal sein?
Selbstverständlich.
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