CDU will noch mehr Ausnahmen beim Mindestlohn
Haseloff nennt Auszubildende und Langzeitarbeitslose / Gysi »erschüttert« über Abschläge für den Osten / Geißler: Mindestlohn beseitigt Agenda-Folgen
Berlin. Nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD wird weithin über die Bewertung der Vereinbarung gestritten - und über den letztlich ins Gesetzgebunsgverfahren einfließenden Geist. Dabei steht der Mindestlohn im Zentrum. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff geht davon aus, dass beim Mindestlohn Ausnahmen für Auszubildende und Langzeitarbeitslose gemacht werden. »Man ist sich einig, dass es im Gesetzgebungsverfahren Ausnahmen für Azubis und Langzeitarbeitslose geben soll«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung«.
Dies steht so nicht im Koalitionsvertrag, dort wird aber auf mögliche Ausnahmen verwiesen. »Wir werden das Gesetz im Dialog mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern aller Branchen, in denen der Mindestlohn wirksam wird, erarbeiten und mögliche Probleme, zum Beispiel bei der Saisonarbeit, bei der Umsetzung berücksichtigen«, heißt es in der Regierungsvereinbarung. Haseloff sagte, man könne in einem Koalitionsvertrag ein Gesetz nicht »vorwegnehmen«. Die Sozialdemokraten wären aber »im Übrigen wie auch wir schlecht beraten, wenn sie Risiken für diese Gruppen eingehen würden. Sie wissen, was für diese Einstiegsgruppen notwendig ist. Da gibt es ausreichend Möglichkeiten, dem Rechnung zu tragen. Hier ist Problembewusstsein vorhanden«, sagte Haseloff.
Der gesetzliche Mindestlohn soll nach der Vereinbarung von Union uns SPD ab 2015 kommen und bundesweit 8,50 Euro pro Stunde betragen. Allerdings können die Tarifpartner bis 2017 auch niedrigere Abschlüsse vereinbaren. Tatsächlich mehr Geld werden deshalb ab 2015 auch nur Beschäftigte erhalten, die bisher unter tariflich völlig ungeregelten Bedingungen arbeiten. Für alle anderen ändert sich bis 2017 erst einmal gar nichts. Elf Prozent der geltenden Tarifverträge in Deutschland liegen unter 8,50 Euro, vor allem im Osten der Republik.
Derweil hat der Ostbeauftragte der geschäftsführend amtierenden Bundesregierung, der CDU-Politiker Christoph Bergner, vor negativen Folgen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns für die neuen Länder gewarnt. »Hauptrisiko ist eine Dämpfung der Wirtschaftsdynamik durch bestimmte Regelungen«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung«. Ein spätestens ab 2017 bundesweit geltender Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde sei »ein Risiko«.
Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sagte dagegen der »Leipziger Volkszeitung«, die Große Koalition sende das positive Signal der Beseitigung von negativen Folgen der Agenda 2010 aus. »Mit dem vereinbarten Mindestlohn und der dadurch zumindest ab 2015 auch veränderten Lage bei den Minijobs können die entscheidenden Fehler der Agenda 2010 beseitigt werden«, sagte Geißler. Dies sei »absolut notwendig - auch für die SPD«.
Die Union solle den Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten nicht öffentlich als Sieg darstellen. »Die CDU-Leute müssen jetzt verhindern, dass die SPD zusätzliche Schwierigkeiten durch solche Äußerungen bekommt für ihre Mitgliederabstimmung. Das ist einfach unklug.« Geißler sagte, ebenso gut könne man von »einer Christdemokratisierung der SPD reden«. In der Außenpolitik, beim Thema Nato und soziale Marktwirtschaft hätten die Sozialdemokraten »letztlich fundamentale Positionen der CDU übernommen«.
Linksfraktionschef Gregor Gysi kritisierte hingegen erneut, Großkonzerne und Unternehmerlobby hätten »dieser Koalition ihren Stempel schon jetzt aufgedrückt, bevor sie zu regieren beginnt«. Er sei gespannt, zitiert ihn die »Leipziger Volkszeitung«, wie die Basis der Sozialdemokraten damit umgehen werde, »dass ihr Wahlprogramm sich bestenfalls als Randnotiz wiederfindet«. Er sei zudem »erschüttert« darüber, dass bei Union und SPD die beabsichtigten Abschläge beim Mindestlohn und bei der so genannten solidarischen Lebensleistungsrente insbesondere den Osten negativ träfen.
Frankreichs sozialdemokratischer Präsident François Hollande hat dagegen den Koalitionsvertrag begrüßt. Die Einigung gehe »in die richtige Richtung«, sagte er bei einer Pressekonferenz mit dem spanischen Regierungschef Mariano Rajoy in Madrid. Hollande begrüßte insbesondere die geplante Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns. »Dies war eine Forderung, die wir seit langem an Deutschland hatten angesichts der Wettbewerbsverzerrung, die es in gewissen Wirtschaftsbereichen wie insbesondere der Landwirtschaft geben konnte«, sagte Hollande. Agenturen/nd
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