»Der Rentenbeitragssatz darf nicht steigen«
Wirklich nicht? Aufklärung über die Mythen der Rentendebatte gibt es hier in einer Serie @ndaktuell
In Deutschland werden die Älteren immer älter – und sie werden immer mehr. Viele fragen sich: Wer soll künftig die Rente all der 90-Jährigen bezahlen? Um die Alterssicherung »zukunftsfest« zu machen, wurde sie in den vergangenen Jahren mehrfach »reformiert« und »umgebaut«, weil »Sachzwänge« dies angeblich verlangen. Doch das Problem ist kein biologisches, sondern ein ökonomisches und politisches. Es geht um Verteilungsfragen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung stellt den gängigen Behauptungen in einer von Sabine Reiner unter Mitarbeit von Ingo Schäfer verfassten Broschüre Antworten entgegen – Aufklärung gegen die Mythen der herrschenden Rentenpolitik lesen Sie hier täglich in einer nd-Reihe.
»Der Rentenbeitragssatz darf nicht steigen«
Was gesagt wird:
»Der Druck auf sämtliche umlagefinanzierten Sozialsysteme ist enorm. […] Unser Ziel muss es sein, Arbeit und wirtschaftliche Leistung von Steuern und Abgaben zu entlasten. […] Deshalb senken wir die Kassenbeiträge. Deshalb halten wir den Rentenbeitrag stabil«, sagte der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schrödxer 2003. So werde die gesetzliche Rente zukunftssicher gemacht.
Was ist dran?
»Zukunftssicher« wird die Rente tatsächlich. Aber für wen? Jedenfalls nicht für die künftigen RentnerInnen.
Seit 1957 zahlt die gesetzliche Rentenversicherung den Versicherten nach dem Erwerbsleben eine Rente. Die Höhe hängt davon ab, wie viel die Einzelnen während ihres Lebens in die Rentenkasse eingezahlt haben. Zugleich wurde die Entwicklung der Rentensätze an die Lohnentwicklung gekoppelt: Jahr für Jahr erhöhten sie sich in dem Maße, wie auch die Löhne stiegen. Dies war die sogenannte Lebensstandard sichernde lohndynamische Rente. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde dieses Ziel ab 2002 aufgegeben. CDU/CSU und FDP kritisierten die damalige Reform sogar noch, sie ging ihnen nicht weit genug.
Ziel der Politik war es, den Beitragssatz nicht über eine bestimmte Grenze steigen zu lassen. Denn den Unternehmen sollten steigende »Lohnnebenkosten« erspart werden. Der Beitragssatz blieb also konstant. Doch die veränderte Altersstruktur der Gesellschaft wurde dadurch freilich nicht außer Kraft gesetzt. Folge: Die Rentenkasse wurde klamm. Das System, mit dem unsere Eltern und Großeltern trotz einer steigenden Zahl RentnerInnen ein halbes Jahrhundert gut gelebt hatten, galt plötzlich als nicht mehr zukunftsfest.
Auf diese selbst geschaffene Knappheit in der Rentenkasse reagierte die Politik – mit Kürzungen des Rentenniveaus. Es soll bis zum Jahr 2030 um 20 Prozent sinken. Wer nach den alten Regeln im Jahr 2020 eine Rente von 1.000 Euro bekäme, hätte dann nur noch 800 Euro zur Verfügung. Wer 1.500 bekäme, hätte nur noch 1.200 Euro. Verschärfend wirken außerdem die Verschiebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, schlechtere Absicherung bei Arbeitslosigkeit und die gestrichene Berufsunfähigkeitsrente: Wer nicht bis 67 arbeiten kann, längere Zeit arbeitslos ist oder gar erwerbsunfähig wird, muss mit noch niedrigeren Renten rechnen. Wer verhindern will, dass seine spätere Rente zu gering ausfällt, soll sich zusätzlich privat versichern.
Und dies ist auch der Clou an der Sache: Der Vorteil des stabilen Beitragssatzes gilt nur mehr für die ArbeitgeberInnen. Sie zahlen für jedeN BeschäftigteN den gleichen Beitrag in die Rentenkasse ein, wie die Beschäftigten selbst – also jeweils 9,45 Prozent von ArbeitgeberIn und ArbeitnehmerIn seit Januar 2013. Mehr soll es nicht werden – für die Unternehmen. Die Beschäftigten sollen dagegen Zusatzbeiträge von ihrem Lohn
abknapsen.
»Zukunftssicher« ist deshalb die Rente nur für UnternehmerInnen. Ihr Beitrag in die Rentenkasse steigt nicht mehr. Den zu erwartenden Anstieg – bis die geburtenstarken Jahrgänge aus der Rente »ausgewachsen« sind – haben sie auf die Beschäftigten abgewälzt.
Die von Sabine Reiner unter Mitarbeit von Ingo Schäfer verfasste Broschüre »Alte kassieren! Junge zahlen nur drauf!« ist in der Reihe »luxemburg argumente« erschienen und kann bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung bestellt werden.
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