Haftanstalt für politische Gefangene
Niedersachsen: JVA Wolfenbüttel soll Opfer des Kalten Krieges würdigen
Auf Anfrage hat die niedersächsische Landesregierung bestätigt, dass ein Konzept für eine Neugestaltung der Gedenkstätte auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wolfenbüttel vorgesehen ist. Ehemalige politische Gefangene, die in den Jahren von 1951 bis 1968 in dieser Haftanstalt ihre Strafe verbüßen mussten, die Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges, Verbände der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) und die Gruppe »Kinder des Widerstandes«, fordern nun, dass bei der Neugestaltung eine würdige Form des Gedenkens an die Oper der politischen Justiz in den Jahren des Kalten Krieges gefunden wird.
Deshalb haben sie sich an die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, die Kultusministerin und die Justizministerin des Landes gewandt. Es sei nicht erkennbar, heißt es in den Schreiben, dass in dem Konzept berücksichtigt wird, dass in den 1950er und 1960er Jahren viele politische Gefangene in der Anstalt inhaftiert waren.
Das Wirken der besonders in Niedersachsen in großer Anzahl tätigen ehemaligen NS-Richter und die Jahre, da Wolfenbüttel die zentrale Hinrichtungsstätte für Norddeutschland war, ist in der Gedenkstätte auf dem JVA-Gelände seit Jahren in zwei Ausstellungen dokumentiert. Auf der Webseite der Anstalt war über Jahre karg vermerkt, dass sich eine dieser Ausstellungen in den Räumen befindet, »die in den 50er Jahren noch als Hafträume für 30 Stalinisten dienten«. Nach Widerspruch ehemaliger Häftlinge wurde der Eintrag in »von 30 politischen Häftlingen« korrigiert. Der inzwischen verstorbene Journalist Walter Timpe, der seine Strafe wegen regimekritischer Zeitungsartikel in Wolfenbüttel absitzen musste, sprach dagegen von mindesten 100 Mitgliedern der Freien Deutschen Jugend und der Kommunistischen Partei Deutschlands, die wegen ihres Eintretens gegen die Deutschland-, Ost- oder Aufrüstungspolitik der Bundesregierungen ihre Strafe in der Haftanstalt verbüß haben.
Die Initiatoren vermerken in ihrem Schreiben: »Die meisten dieser Gefangenen sind durch die 4. Strafkammer beim Landgericht Lüneburg verurteilt worden. Richter und Staatsanwälte dieser Kammer waren unter anderen Dr. Karl-Heinz Ottersbach und Dr. Konrad Lenski. Beide sind Richter und Staatsanwälte aus dem NS-Regime, die Todesurteile im Sinne des Regimes fällten.« Zahlreiche Gefangene, die während der Nazizeit in Konzentrationslagern und Zuchthäusern inhaftiert waren, wurden durch Staatsanwälte und Richter mit NS-Vergangenheit erneut angeklagt und verurteilt. Aus diesem Grund wird es für erforderlich gehalten, »dass in der Gefängnisgedenkstätte Wolfenbüttel dieses Kapitel bundesdeutscher Justiz aufgearbeitet wird«. Eine Würdigung der Opfer des Kalten Krieges könnte sich zum Beispiel in einer entsprechenden Gedenktafel widerspiegeln.
Der Vorsitzende der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, Habbo Knoch, hat inzwischen in einer Antwort zugesichert, sich dafür einzusetzen, »bei der Neugestaltung der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel auch jene Insassen der Strafanstalt zu würdigen, die nach 1949 aus politischen Gründen verurteilt wurden«. Er teile die Auffassung der VVN-BdA wie der Initiativgruppe, dass »die Beschäftigung mit der bundesdeutschen Justiz gerade in den ersten Nachkriegsjahrzehnten angesichts der großen Kontinuität von Juristen im Staatsdienst, die zuvor im NS-System tätig waren, eine wichtige Aufgabe in der Arbeit einer Gedenkstätte ist, die sich der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Justiz im Nationalsozialismus widmet.« Auch aus dem niedersächsischen Kultusministerium liegt ein Schreiben vor, das Zustimmung zu den Vorschlägen der VVN-BdA und der Initiativgruppe erkennen lässt.
Vielleicht erfüllt sich - zumindest in der JVA Wolfenbüttel - die Erwartung des ehemaligen Oberlandesgerichtsrat Helmut Kramer für das »Forum Zeitgeschichte«, dass »der demokratische Rechtsstaat Selbstkritik aushält« und zu dem steht, »was in der Frühzeit der Bundesrepublik unter dem scheinbar ungetrübtem Himmel eines Rechtsstaats möglich war«. Und das waren immerhin bei 250 000 Ermittlungsverfahren etwa 10 000 Verurteilte durch die politische Sonderjustiz.
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