SPD-Netzpolitiker: Gabriel instrumentalisiert Breivik-Opfer

Auch bei den Sozialdemokraten Widerstand gegen Vorratsdatenspeicherung / Korte: 80 Millionen kriminalisiert / Grüne: Bürgerrechte mit Füßen getreten

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Berlin. Gegen die im Koalitionsvertrag vereinbarte Zustimmung zur Vorratsdatenspeicherung wird jetzt auch aus der SPD heraus Kritik laut. Der Netzpolitiker Lars Klingbeil lehnte es gegenüber dem Deutschlandfunk am Samstagmorgan ab, in einer Großen Koalition das umstrittene Instrument wieder einzuführen. Klingbeil erklärte, die Union habe Druck gemacht und die Speicherung unbedingt gewollt, deshalb stehe sie auch in der Regierungsvereinbarung. Aus seiner Sicht aber bestehe beim anlasslosen Speichern von Daten die Gefahr, dass in Grundrechte eingegriffen werde - etwa in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Er sei deshalb weiterhin dagegen, sagte Klingbeil - und kündigte kritische Fragen im Gesetzgebungsverfahren an.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die in Deutschland geltende Regelung zur Vorratsdatenspeicherung im Frühjahr 2010 gekippt und auf mehr Datenschutz gedrängt. Die SPD war in den Wahlkampf mit der Forderung gezogen, eine Speicherung solcher Daten »nur unter engsten Voraussetzungen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen« zuzulassen. Im Koalitionsvertrag mit der Union ist nun jedoch vereinbart, die Speicherung wieder einzuführen und damit eine EU-Richtlinie umzusetzen.

Unterdessen sorgt ein Interview mit Sigmar Gabriel für Ärger bei den Sozialdemokraten. Der SPD-Chef hatte, um für die Vorratsdatenspeicherung zu werben, erklärt, nach dem verheerenden Anschlag des Rechtsterroristen Anders Breivik im Juli 2011 hätten die Sicherheitsbehörden in Norwegen »durch die dortige Vorratsdatenspeicherung ... sehr schnell« gewusst, »wer in Oslo der Mörder war«. Bei dem Attentat waren 77 Menschen gestorben, zum größten Teil junge Sozialdemokraten in einem Jugend-Camp der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Norwegen hatte in Wahrheit aber zu dem Zeitpunkt noch keine Vorratdatenspeicherung, sie ist in dem Land bis heute nicht umgesetzt, kritisieren Netzpolitiker der SPD auf ihrer Website. »Sigmar Gabriel kämpft wieder einmal für die Vorratsdatenspeicherung. Doch dieses Mal instrumentalisiert er die Opfer von Utøya. Das ist unwürdig und falsch«, heißt es dort.

Der SPD-Netzpolitiker Markus Winkler sagte, er sei »ehrlich gesagt erschüttert über Gabrieles Aussage. Wer auch immer Gabriel diesen Bären aufgebunden hat: Mit so einer falschen Behauptung werden die Opfer des Massenmörders Breivik instrumentalisiert und damit jegliche Kritik an der Vorratsdatenspeicherung diskreditieret. Das ist schlicht und ergreifend verwerflich.« In der SPD würden 60 Gliederungen, darunter sieben Landesverbände, die Vorratsdatenspeicherung ablehnen, so Winkler.

Der Linken-Politiker Jan Korte sagte, dem Koalitionsvertrag fehle »vor allem eines: ein klares, praktisches Bekenntnis zu den Grundrechten der Bevölkerung«. Dass die Große Koalition in spe an der Vorratsdatenspeicherung festhalten wolle, zeige »nicht nur, dass sie kein Problem mit der Überwachung der Bevölkerung haben. Es ist auch fahrlässig: Wer nicht einmal das Kanzlerhandy schützen kann, sollte von massenhaften Datensammlungen lieber die Finger lassen.« Korte kritisierte, mit der Vorratsdatenspeicherung werde die Unschuldsvermutung umgekehrt und würden »über 80 Millionen Menschen in Deutschland durch Speicherung und Überwachung ihres privaten Kommunikationsverhaltens« kriminalisiert.

»Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH. Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter so-wie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.« (aus dem Koalitionsvertrag)

Vertrauliche Kommunikation muss vertraulich bleiben. Ausnahmen kann es nur geben, um schwerste Straftaten zu verfolgen, und auch dann nur unter engsten Voraussetzungen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen. Den Umgang mit Verbindungsdaten werden wir auf die Verfolgung schwerster Straftaten beschränken, die Datenarten und Speicherdauer hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität differenzieren und Regelungen klar, einfach und zukunftsfähig fassen. Die Speicherung von Bewegungsprofilen wird es mit uns nicht geben. (aus dem SPD-Wahlprogramm)

Kritik kommt auch von Grünen-Chef Cem Özdemir. Der »Rheinischen Post« sagte er, die SPD trete die Bürgerrechte »mit Füßen mit der Zustimmung zur Vorratsdatenspeicherung«. Dagegen verteidigte der amtierende Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Pläne zur Wiedereinführung. Der »Saarbrücker Zeitung« sagte er, die Sicherheitsbehörden könnten dadurch ein wichtiges Mittel im Kampf gegen schwere Straftaten zurückerhalten. »Diese Daten werden uns helfen, noch entschiedener Verbrechen zu bekämpfen«, so Friedrich. Der Minister kündigte zudem an, dass man bei der Umsetzung die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einhalten werde, »so dass die Verhältnismäßigkeit gewährleistet ist«. Friedrich verwies darauf, dass Telekommunikationsdaten bei der Aufklärung von Kinderpornographie und Computerkriminalität hilfreich seien. Dies »zeigen uns viele Fälle, in denen wir genau diese Daten dringend als Ermittlungsansatz gebraucht hätten«. Agenturen/nd

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