»Die Rentenversicherung wird paritätisch finanziert«
Wirklich? Aufklärung über die Mythen der Rentendebatte gibt es hier in einer Serie @ndaktuell
In Deutschland werden die Älteren immer älter – und sie werden immer mehr. Viele fragen sich: Wer soll künftig die Rente all der 90-Jährigen bezahlen? Um die Alterssicherung »zukunftsfest« zu machen, wurde sie in den vergangenen Jahren mehrfach »reformiert« und »umgebaut«, weil »Sachzwänge« dies angeblich verlangen. Doch das Problem ist kein biologisches, sondern ein ökonomisches und politisches. Es geht um Verteilungsfragen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung stellt den gängigen Behauptungen in einer von Sabine Reiner unter Mitarbeit von Ingo Schäfer verfassten Broschüre Antworten entgegen – Aufklärung gegen die Mythen der herrschenden Rentenpolitik lesen Sie hier täglich in einer nd-Reihe.
»Die Rentenversicherung wird paritätisch finanziert«
Was gesagt wird:
In die Rentenkasse zahlen sowohl die Beschäftigten als auch die Unternehmen ein. Die »Beiträge werden paritätisch von Arbeitnehmer und -geber getragen«.
Was ist dran?
Das war vielleicht früher so. Heute nicht mehr. Denn »paritätisch« bedeutet laut Duden »gleichwertig« oder »[zahlenmäßig]gleich«. Tatsächlich aber werden den abhängig Beschäftigten immer größere Lasten aufgebürdet. Gleichzeitig sollen die Unternehmen nicht weiter belastet werden – der Rentenbeitragssatz soll nicht mehr steigen, damit die Firmen nicht stärker an der Finanzierung der Altersbezüge beteiligt werden. Die Lohnkosten sollen sinken.
Steigt ein Beteiligter aus der gemeinsamen (»paritätischen«) Finanzierung einer Sache aus oder will er nur noch einen kleineren Teil übernehmen, müssen die anderen logischerweise mehr übernehmen. Denn billiger wird es nicht – das ist klar. »Die Kosten der Alterung der Bevölkerung kann man nicht wegreformieren, sondern nur umverteilen.« So drückt es Rentenexperte Bert Rürup aus. Die Umverteilung der Kosten zulasten der Beschäftigten wurde aber gleichwohl zu einem lukrativen Geschäftsfeld für private Versicherungen. Für die wiederum ließen sich die BeraterInnen der Regierung gerne einspannen – ein ebenfalls äußerst lukratives Geschäft für sie persönlich. Der 45-minütige Film »Rentenangst! Der Kampf um die Altersversorgung« aus dem Jahr 2008 zeichnet eindrücklich nach, wie die Finanzwirtschaft mit ihren LobbyistInnen die Auseinandersetzung um die Alterssicherung dominiert und viele Menschen in Altersarmut treibt.
Je mehr die »erste Säule«, die gesetzliche Rente, durch angeblich notwendige Reformen geschwächt wird, desto nötiger wird es zur Verhinderung von Altersarmut, in die private »zweite und dritte Säule« zu investieren – wenn man es sich denn leisten kann. Die Bundesregierung hat vom sogenannten Rentenpapst Bert Rürup und anderen ExpertInnen berechnen lassen, wie weit das Rentenniveau sinken muss, um den Beitragssatz für ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen zusammen auf nicht mehr als 22 Prozent steigen zu lassen. Zur Sicherung des heutigen Niveaus müsste der Beitragssatz aber auf voraussichtlich 28 Prozent steigen. Ganz im Sinne der Finanzlobby bedeutet »Drei-Säulen-Modell« heute also, dass die Beschäftigten dreimal zahlen sollen: 11 Prozent für die gesetzliche Rente, 4 Prozent für die Riester-Rente und nochmals 2–3 Prozent für eine zusätzliche private oder betriebliche Rente – insgesamt also 17 Prozent. Die ArbeitgeberInnen zahlen die anderen 11 Prozent, statt 14 Prozent. »Paritätisch« geht anders.
Den Reformen ging übrigens keine ergebnisoffene Debatte voraus. Stattdessen spannte die Bundesregierung ExpertInnen wie Rürup ein, die der Bundesregierung bei den Reformen gute Dienste leisteten: Denn »das Rentenniveau kann ausfallen wie ich es berechne« (Rürup). Ein derartiges Vorgehen ist üblich. Droht ein politisches Vorhaben auf Widerstand zu stoßen, setzt man am besten eine »Experten«-Kommission ein, die in einem möglichst umfangreichen und möglichst kompliziert formulierten Gutachten beweist, dass es keine Alternative gibt.
Die nach ihrem Vorsitzenden benannte Rürup-Kommission sollte Vorschläge zur langfristigen Finanzierung von Rente und sozialen Sicherungssystemen insgesamt erarbeiten. »Aufgabe der Kommission war es, umsetzbare und langfristig tragfähige Vorschläge zu erarbeiten, die gleichermaßen geeignet sind, im Interesse einer Verbesserung der Beschäftigung die Lohnzusatzkosten zu dämpfen wie […] die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Gesetzlichen Rentenversicherung […] zu erhöhen. […] Ich bin überzeugt, dass die Kommissionsvorschläge nicht nur den Auftraggebern in der nächsten Zeit einiges an politischen Auseinandersetzungen bereiten werden.«
Das gewünschte Ergebnis war in der Aufgabenstellung bereits enthalten: Die »Lohnzusatzkosten«, also die Sozialversicherungsbeiträge der ArbeitgeberInnen, sollten gedämpft werden. So wird Zukunftsgestaltung organisiert: Expertokratie statt Demokratie.
Die von Sabine Reiner unter Mitarbeit von Ingo Schäfer verfasste Broschüre »Alte kassieren! Junge zahlen nur drauf!« ist in der Reihe »luxemburg argumente« erschienen und kann bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung bestellt werden.
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