Frankreich fürchtet ein neues Somalia
Paris nennt die Gefahr des islamistischen Terrors als zentralen Beweggrund für sein erweitertes Engagement
Sie sind schon unterwegs: Die französische Armee brachte am vergangenen Wochenende etwas mehr als 200 zusätzliche Soldaten für einen Militäreinsatz in die Zentralafrikanische Republik. Die aufgrund bilateraler Abkommen im Land stationierten 420 französischen Militärs werden bis Mitte Dezember auf 1000 Mann aufgestockt - UNO-Mandat hin oder her. Ein Großteil dieser Männer wartet auf Schiffen vor der Küste nur noch auf den Befehl zur Landung.
Die französischen Militärs sollen die 3600 Soldaten der im Aufbau befindliche Streitmacht mehrerer afrikanischer Länder und die erwarteten UNO-Soldaten unterstützen und nicht wie Anfang des Jahres im Mali selbst die Offensive führen, betont Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian. Zu den Hauptaufgaben der französischen Militärs wird die Sicherung der Hauptstadt Bangui und der von dort in die Nachbarländer führenden zwei Straßen gehören, die in letzter Zeit wiederholt Angriffen durch bewaffnete Banden ausgesetzt waren. Seit dem Staatsstreich von Michel Djotodia, der im vergangenen März mit Unterstützung von Söldnern aus Tschad und Sudan den Präsidenten François Bozizé gestürzt und sich selbst zum Präsidenten erklärt hatte, herrscht im Land Bürgerkrieg und Chaos.
- 1960: Unabhängigkeit der ZAR; Präsident: David Dacko, Anlehnung an Frankreich
- 1966: Putsch, Machtübernahme durch General Jean-Bédel Bokassa
- 1972: Selbsternennung Bokassas zum Präsidenten auf Lebenszeit, ab 4.12.1976 »Kaiser Bokassa I.«
- 1979: Absetzung Bokassas, David Dacko wird wieder Staatschef
- 1981: Militärputsch, Machtüber-nahme durch General André Kolingba
- 1993: Präsidentenwahl: Ange-Félix Patassé, u. a. Premier unter Bokassa, gewinnt gegen Kolingba
- 2001: gescheiterter Putschversuch von Kolingba
- 2003: General François Bozizé übernimmt nach Putsch gegen Patassé die Macht
- 2013: Putsch gegen Bozizé, Eroberung der Hauptstadt Bangui durch die Séléka-Rebellen; Michel Djotodia ernennt sich zum neuen Staatschef. nd
Djotodia repräsentiert die muslimische Minderheit, die nur zehn Prozent der knapp fünf Millionen Einwohner des Landes ausmacht, während 80 Prozent Christen und die restlichen zehn Prozent Animisten sind. Doch Djotodia hat inzwischen die Macht über seine Anhänger verloren, die als mordende und plündernde Banden durchs Land ziehen und die christliche Bevölkerungsmehrheit terrorisieren. Aber auch die Milizen, die durch die Christen zur eigenen Verteidigung gebildet wurden, haben Beobachtern zufolge Gräueltaten verübt. Der französische Außenminister Laurent Fabius rechnet mit einem drohenden Völkermord, was ein Eingreifen französischer Militärs an der Seite der afrikanischen und UNO-Soldaten dringend nötig mache. Verteidigungsminister Le Drian schätzt, dass der Einsatz der französischen Militärkräfte in Zentralafrika auf sechs Monate begrenzt und dass in dieser Zeit die Sicherheit im Land wiederhergestellt werden kann. Zum Gipfeltreffen für Frieden und Sicherheit in Afrika, das Ende der Woche im Pariser Elysée stattfindet, wurde Djotodia nicht eingeladen, sondern nur der Premierminister Zentralafrikas, der schon unter Präsident Bozizé im Amt war.
Frankreich will vor allem verhindern, dass Zentralafrika zu einer neuen Basis für den internationalen islamistischen Terror wird. Gegenwärtig hat Frankreich noch 3200 Militärs in Mali, wo der Norden des Landes längst noch nicht von allen islamistischen Terroristen befreit, gesichert und befriedet ist. Weitere 900 französische Soldaten sind in Tschad stationiert und 450 in Côte d›Ivoire. Zählt man die 650 noch in Afghanistan befindlichen Soldaten, 900 in Libanon und 300 in Kosovo hinzu, dann hat Frankreich gegenwärtig insgesamt rund 8500 Militärs im Auslandseinsatz.
Pro Jahr werden dafür offiziell 600 Millionen Euro aufgewendet. Doch mit den Ausgaben, die in anderen Posten des Staatshaushalts versteckt sind, wird Schätzungen von Beobachtern zufolge insgesamt pro Jahr eine Milliarde Euro für die Auslandseinsätze aufgewendet. Angesichts dieser Belastung sind die französischen Diplomaten und Spitzenmilitärs verbittert darüber, dass die anderen europäischen Länder Frankreich in Afrika im Stich lassen und Paris teils gar vorwerfen, dort seine wirtschaftlichen Interessen zu sichern. »Das stimmt zwar auch, aber weit darüber hinaus verteidigt Frankreich in Afrika die Sicherheit Europas vor einem erstarkenden islamistischen Terrorismus«, meint Thierry de Montbrial, Direktor des französischen Instituts für Internationale Beziehungen.
Unterstützung könnte Paris von Berlin erhalten. Laut Luftwaffeninspekteur Karl Müllner prüfe die Bundeswehr gerade eine mögliche Unterstützung beim Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik. So könne man wie im Fall von Mali Transall-Transporter entsenden.
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