Ich traue uns alles zu
Handball-Bundestrainer Heine Jensen ist vor der WM zuversichtlich, dass seine Mannschaft aus Fehlern gelernt hat
nd: Die Handball-WM beginnt für die deutsche Mannschaft am Samstag gegen Australien. Zuvor haben Sie Ihren Spielerinnen noch mal zwei Tage trainingsfrei gegeben. War die Angst zu groß, dass sich noch eine von Ihnen verletzt?
Jensen: Nein, das haben wir in den vergangenen Jahren auch so gemacht. Wir waren neun Tage zusammen, und dann ging es noch einmal kurz heim, um Klamotten zu waschen und ein bisschen bei Familie und Freunden den Kopf frei zu bekommen.
Der Ausfall von Stammspielerinnen scheint aber in diesem Jahr besonders groß zu sein.
Wir hatten viel Pech - und ein bisschen Glück. Man kann ja nicht von Pech sprechen, wenn Spielerinnen schwanger werden, so wie Isabell Klein und Katja Schülke. Das hatte mich für sie sehr gefreut. Und die Verletzungen gehören dazu, auch wenn wir dieses Jahr etwas härter getroffen wurden. Es tut mir unheimlich leid für diejenigen, die es erwischt hat.
Drei Spielerinnen haben Sie für die WM nominiert, die gerade erst genesen sind, also kaum Spielpraxis in sammeln konnten. Dafür muss aber Franziska Mietzner zu Hause bleiben. Eine mutige Entscheidung.
Kim Naidzinavicius hat mit Leverkusen im Oktober ihr Comeback gegeben. Sie hat zwei, drei Bundesliga- und zwei Europapokalpartien gespielt - und die auch gut. Nadja Nadgornaja hat auch schon gegen Baia Mare und Hypo Niederösterreich in der Champions League zeigen können, dass sie schnell wieder ihre Form gefunden hat. Sie hat dem Thüringer HC geholfen, doch noch eine Runde weiterzukommen. Die einzige ohne Praxis in der Bundesliga ist Anne Hubinger. Und sie hat die beiden Vorbereitungsspiele gegen Schweden mitgemacht. Da sah sie von Tag zu Tag besser aus. Ich glaube daran, dass wir alle drei in einer guten Form sehen werden bei der WM.
In der EM-Qualifikation gegen Russland und den Siegen gegen Schweden zeigte Ihr Team gute Leistungen gegen hochkarätige Gegnerinnen. Was ist denn drin in Serbien?
Wichtig ist für uns, dass wir unseren Fokus darauf halten, gute Handballspiele abzuliefern. Wenn wir unsere beste Leistung bringen, sind wir schwer zu schlagen. Außerdem haben wir alle viel Lust zu zeigen, dass wir uns weiterentwickelt haben.
Was macht guten Handball aus?
Das Tolle ist ja, dass man das ganz unterschiedlich sehen kann, da es so viele Wege gibt, im Handball zu gewinnen. Das, was ich gern sehen würde, ist, dass unsere Abwehr stabil steht, so dass wir den Gegner auf einer geringen Toranzahl halten. Mit einem guten Umkehrspiel erzielen wir dann auch Kontertore. Deckung und Konter sind unsere Basis. Im Angriff wollen wir es ansonsten schaffen, die Spielerinnen so oft wie möglich in jene Situationen zu bringen, wo sie ihre individuellen Stärken haben: also den guten Werferinnen den perfekten Wurf kreieren, und die schnellen Spielerinnen oft in Situationen isolieren, in denen sie ihre Stärken im 1:1-Duell ausspielen können.
In Ihrer Vorrundengruppe ist keine Übermannschaft. Wie wahrscheinlich ist der Achtelfinaleinzug?
Er ist möglich. Aber ich weiß auch, dass wir wohl mindestens drei Siege holen müssen. Das wird schwer genug, denn unsere Gruppe ist wohl die ausgeglichenste dieser WM. Bei den Duellen zwischen Ungarn, Rumänien, Tschechien und Deutschland wird immer die bessere Tagesform über den Sieg entscheiden. Dazu haben wir mit Tunesien die stärkste Mannschaften aus Topf fünf zugelost bekommen. Ich denke, dass keine Mannschaft ohne Punktverlust durch diese Gruppe kommt.
Bei der WM 2011 gewann Ihr Team das Auftaktspiel gegen die Norwegerinnen, die sich danach ungeschlagen zum Titel durchkämpften. Deutschland selbst wurde nur 17. und verpasste Olympia. Was haben Sie daraus gelernt?
Sehr viel. Bei dieser Endrunde werde ich einiges anders machen als das, was ich damals probiert habe. Aber so ein Turnier muss man erst mal erleben. Da gibt es so viele Faktoren, die man vorher nicht kennt. Wenn man denkt, dass man auf alles vorbereitet ist, passiert genau das, worauf man nicht eingestellt war. Deswegen muss man Siege genauso wie Niederlagen schnell abhaken, weil das nächste Spiel auch ganz schnell folgt. Vor der WM 2011 konnte ich nicht so viele Tage mit der Mannschaft arbeiten wie dieses Mal. Das ist ein Vorteil, der auch notwendig war, weil wir einen Umbruch gestartet haben und jüngere Spielerinnen integrierten. Da war es gut, einander besser kennenzulernen.
Was tun Sie, um zu verhindern, dass zu lange an Siegen oder Niederlagen festgehalten wird?
Darüber haben wir in diesem Jahr bei vielen Lehrgängen immer wieder gesprochen. Die Spielerinnen dürfen nie vergessen, dass das nächste Spiel das wichtigste ist, egal ob sie gerade gewonnen oder verloren haben. Wir fangen immer wieder von Null an. Das ist schwierig umzusetzen, und etwas, womit jeder ganz individuell umgeht. Einige tragen lange einen Sieg oder eine Niederlage mit sich herum. Andere wiederum schauen schon eine halbe Stunde danach wieder nach vorne. Es war wichtig, dass jeder das für sich erarbeiten konnte.
Die Mannschaft ist sportlich offensichtlich konkurrenzfähig. Fehlt es ihr manchmal an Mut, wenn es wirklich um etwas geht?
Nein. Als Mannschaft sind wir mutig genug. Ich glaube eher, dass es uns an Erfahrung fehlt, solche Spiele zu spielen. Die kann man aber nur hier bei einer WM sammeln und nicht im Supermarkt kaufen, sonst hätte ich das längst gemacht.
Wie weit müsste die Mannschaft kommen, damit Sie sagen: »Das hätte ich ihr niemals zugetraut!
Da gibt es nichts, weil ich uns alles zutraue - in beide Richtungen.
Also sogar den Weltmeistertitel?
Das zu sagen, wäre nicht fair gegenüber der Mannschaft. Aber ich sage so viel: Wir waren 2011 die Einzigen, die die Norwegerinnen geschlagen haben, als die Weltmeister wurden. Und wir waren die 2012 die Einzigen, die Montenegro geschlagen haben, als die Europameister wurden. Sie sollten Ihr Geld wohl auf die Mannschaft als Weltmeister wetten, die wir in der Vorrunde besiegen.
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